The Wire gilt nicht nur bei „Entertainment Weekly“ gerne als beste Fernsehserie aller Zeiten. Die fünf Staffeln, in denen Schöpfer David Simon mit seinen Autoren und Schauspielern gemeinsam ein Sittengemälde der amerikanischen Stadt im anbrechenden 21. Jahrhundert zeichnet, verlangen einem zum Einstieg ein bisschen was ab, belohnen etwas Geduld dafür dann aber umso reichhaltiger mit großen Charaktermomenten und auf erstaunliche Weise zusammenlaufenden Fäden. Anfang des Jahres ist ein neues Buch zu The Wire erschienen – verfasst von Real-Virtuality-Gastblogger Martin Urschel. Deswegen habe ich ganz nepotistisch ein kurzes E-Mail-Gespräch mit Martin geführt.

Dein Buch beruht ja auf deiner Diplomarbeit. Wie wäre denn die Zusammenfassung im Stil der Seite Lolmythesis?

Watching The Wire won’t make you a better person, but it could make you want to change the world.

Ernsthaft – wenn jemand jetzt nicht ausgerechnet zu „The Wire“ und Gewaltnetzwerken recherchiert, warum könnte dein Buch trotzdem interessant sein?

Mein Buch beschäftigt sich mit zwei großen Themengebieten: Fernsehen und amerikanischer Gesellschaft. The Wire ist eine wunderbare Serie und ich würde sie jeder und jedem empfehlen, die oder der den Blick über den Tellerrand wagen möchte. Sie ist nicht ganz einfach zu Beginn, aber sie belohnt ein Publikum, das bereit ist, die ungewöhnliche Wege mitzugehen. Die Serie dient in meinem Buch als Aufhänger. Durch die Serie betreten wir große Debatten, nicht nur akademische, sondern auch politische Debatten: Wie ist eine friedlichere, freiere Gesellschaft heute denkbar? Um nicht weniger geht es mir und um nicht weniger geht es in der Serie. Die Serie stellt diese Frage auf eine sehr ungewöhnliche Weise. Die Erzählformen sind abseits dessen, was man von anderen Fernsehserien kennt.

Mich interessiert aber auch die Frage: Was können wir von der Art, wie The Wire erzählt ist, lernen über das Medium Fernsehen? Dafür verorte ich die Serie in der Fernsehgeschichte, schaue mir verschiedene Bewegungen an, die wir zur Zeit wahrnehmen können. Kino, Fernsehen und Internet wachsen zusammen, durchmischen sich einerseits, aber driften auch auseinander andererseits, weil sie versuchen, sich abzugrenzen. The Wire ist da ganz klar ein Produkt der Zeit, in der die Serie entstanden ist. Auf einem anderen Sender als HBO wäre sie wohl nicht so zustande gekommen.
Wer The Wire gar nicht gesehen hat und nicht sehen möchte, wird es mit dem Buch sicher schwer haben.

Ich erinnere mich, dass wir im Sommer noch drüber gesprochen haben, ob du deine Arbeit evtl. als eBook oder im Open Access-Verfahren veröffentlichst. Du hast dich im Endeffekt dagegen entschieden, kannst du sagen warum?

Für Open Access habe ich große Sympathie, ich mag diese Demokratisierung von Wissen und Ideen, wie beim „Project Gutenberg“ usw. Überhaupt, wie man im englischsprachigen Raum Urheberrecht organisiert hat, dass Inhalte nach einiger Zeit in den Besitz der Allgemeinheit übergehen, wenn nicht der Autor oder seine Nachfahren Anspruch erheben, das liegt mir näher als das elende deutsche Urheberrecht. Meine Entscheidung für die gedruckte Buchform hatte zwei Gründe. Ich wollte mir selbst auferlegen, noch einmal sehr gründlich das Buch zu überarbeiten, strukturell, inhaltlich und auch in der Form, so dass das Schriftbild einheitlich und klar ist. Dazu hätte mir bei Open Access Publishing sicherlich der nötige Druck gefehlt. Es ist komplizierter, aufwändiger ein gedrucktes Buch hinzukriegen, eine größere Hürde – aber irgendwie bedeutet es mir dann auch mehr. Auch schätze ich den Geruch und die Haptik von gedruckten Büchern. Jedem sein Fetisch …

Das Buch ist jetzt in einem durchaus angesehenen wissenschaftlichen Verlag erschienen. Könntest du nochmal kurz erklären, wie der Prozess ablief (weil das, glaube ich, vielen gar nicht so bewusst ist, wie der Wissenschaftsbuchmarkt im Endeffekt oft tickt)?

Zuerst wurde ich vom Herausgeber der Reihe, Prof. Dr. Norbert Grob, angefragt, ob ich meine Diplomarbeit in seiner Buchreihe „Filmstudien“ veröffentlichen möchte. Er hatte die Arbeit zuvor betreut, kannte sie also gut. Ich habe sofort zugesagt, er hat dann ein paar Punkte genannt, auf die ich bei der Überarbeitung des Textes achten solle. Daraufhin habe ich mich mit dem Verlag in Kontakt gesetzt und die haben mir genau erklärt, welche Vorgaben ich erfüllen muss, und welche Eigenbeteiligung an den Druckkosten ich auch zu tragen habe (falls es interessiert: mehrere hundert Euro). Von so einem Buch wird man also nicht reich, bestenfalls kann man die Eigenkosten refinanzieren, wenn wir es schaffen, mehr oder weniger die gesamte erste Auflage zu verkaufen.
Ich habe das Buch also nicht des Geldes wegen veröffentlicht, sondern um nicht für die Schublade geschrieben zu haben, und weil ich mir selbst zeigen wollte, dass ich die Willenskraft habe, diesen komplizierten Prozess zu bewältigen. Ich möchte auch gerne in einer gewissen Öffentlichkeit zu meinen Positionen stehen, die ich entwickelt habe. Das hat etwas mit Verantwortung-Übernehmen zu tun und ist ein kleiner Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung, hoffe ich.

Wenn du „The Wire“-Schöpfer David Simon mal persönlich treffen könntest, worüber würdest du dich gerne mit ihm noch unterhalten, was du im Buch für dich nicht klären konntest?

Eigentlich ist David Simon gar nicht so wesentlich für meine Analyse von The Wire. Ich zitiere ihn zwar mehrfach, aber die Serie spricht eigentlich komplett für sich, dafür braucht man nicht den Autor. Aber ich würde gerne mal mit ihm essen gehen und über seine Erfahrungen im Fernsehbusiness plaudern. Nachdem seine letzte Serie Tremé auf HBO nun zu Ende gegangen ist, bin ich gespannt, wie er sich weiterentwickeln wird.

Du beobachtest ja auch die Serienlandschaft generell. War The Wire da jetzt der Höhepunkt einer kurzen Glanzphase oder stehen uns weitere Meilensteine bevor? Wo liegen deine Hoffnungen?

Ich würde die Medienlandschaft gerade in einer Phase der kompletten Neuorientierung und Umstrukturierung sehen. The Wire hat uns da ein hervorragendes Beispiel gegeben, wie man diesen Wandel nutzen kann, um etwas ungewöhnliches auszuprobieren, die Grenzen des Möglichen neu zu stecken. Da dieser Wandel in der Technologie, in der Gesellschaft, in der Kultur und in den Erzählformen nicht umzukehren ist, wüsste ich nicht, wie das eine kurze Glanzphase wäre und nicht eine tiefschürfende und bleibende Veränderung. Ich erwarte ganz sicher weiterhin große Meilensteine, gerade im „Neuen TV“ (wozu ich auch Onlineformen zähle), das sich gerade erst entwickelt. Fernsehen ist in Zukunft vielleicht eher ein Ort für Experimente und ambitionierte Projekte als das Kino, wo der Trend dahinzugehen scheint, dass es eine immer größere Kluft zwischen Mega-Multiplex-Kinos mit herrlichem Spektakel und immer kleineren Programmkinos mit verrückten Nischenfilmen gibt. Das kontrastreiche Dazwischen, der Raum wo man gleichzeitig für viele erzählt und gleichzeitig Experimente wagen kann, das scheint mir immer mehr im Fernsehen stattzufinden. Aber wer kann das schon absehen?

Ich freue mich jedenfalls schon auf die neue HBO-Serie True Detective und auf die nächsten Staffeln Game of Thrones, auch wenn mich seit der zweiten Staffel das Maß an Sadismus in der Gewaltdarstellung abschreckt, die zugrundeliegenden Bücher setzen ihre Schwerpunkte da anders. Aber auch im deutschen Fernsehen tut sich einiges! Ich würde mich freuen, auch bei uns mehr eigentümliche Visionen von Filmemachern zu sehen, die es wagen, vom Kino einen Ausflug ins Fernsehen zu machen, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, eine Serie oder Miniserie zu entwerfen und zu betreuen. Es braucht hier auch ein paar starke Visionäre wie Simon, die Dinge möglich machen, statt immer nur dem hinterherzulaufen, was bereits möglich ist.

Und schließlich: Bitte erklär doch noch mal kurz, warum The Hobbit in zwei Filmen besser erzählt hätte werden können als in dreien und warum man das in The Desolation of Smaug so gut sieht.

Ganz einfach: Man merkt in Desolation of Smaug deutlich den Punkt, an dem der erste Film hätte enden sollen. Ursprünglich war das ja der Plan, so wurden die Drehbücher geschrieben, so wurden die Filme gedreht – erst im Schnitt kamen sie dann auf die Idee, irgendwie anders zu schneiden und dadurch drei statt zwei Filme zu machen. Es gibt gleich zu Beginn von Desolation das große Finale, das Unexpected Journey fehlte: Die Flucht in den Fässern. Dann hat die Geschichte einen Ruhe-Punkt erreicht, wo man einen gewissen Abschluss hat, und zugleich wissen will, wie die Geschichte ausgeht. Stattdessen endet Unexpected Journey irgendwo am Anfang des dritten Aktes, diese Szene mit den Bäumen und den Wargen wird unnötig aufgebläht, funktioniert aber nicht so recht als befriedigender Höhepunkt, nachdem man gerade die spektakuläre Orkstadt-Sequenz hinter sich gebracht hat. Unexpected Journey ist zugleich zu lang, weil er viele redundante und überlange Szenen hat, und zu kurz, weil er an einem ungünstigen Punkt endet.

Desolation beginnt dann mit dem Ende des ersten Teils, was ein komisches Gefühl gibt, dann wechselt der Film mittendrin die Tonart, wird ernster und langsamer. Ich mochte die Szenen in Laketown viel lieber als alles, was uns Jacksons Hobbit-Filme vorher präsentiert haben. Aber auch Desolation hört irgendwo mittendrin auf, da gibt es gar kein Gefühl von Abschluss, alles hängt in der Luft, einige Figuren plumpsen geradezu aus dem Film, mitten in einer Verfolgungsjagd. Das ist schlechter Stil. Auch wenn man einen Cliffhanger macht, sollte es einen gewissen Abschluss der Handlunsgbögen geben – man vergleiche das mit Empire Strikes Back oder Back to the Future 2, wo alle Konflikte des Films zusammengefaltet werden, aber eine grundsätzliche Rest-Spannung auf den abschließenden Teil verweist. Keiner der beiden Hobbit-Filme hatte ein solches Ende. Schade. Hoffentlich hat wenigstens der dritte Teil ein ordentliches Ende und mäandert nicht wieder so wie Return of the King seinerzeit.

„The Wire: Netzwerke der Gewalt“ ist im Nomos-Verlag erschienen, hat 104 Seiten und kostet 19 Euro. Zu kaufen bei Nomos oder bei amazon.de.

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Der Babo: Siegfried Kracauer

Am Wochenende wurde in Berlin zum ersten mal der Siegfried Kracauer Preis für Filmkritik verliehen – von der MFG Filmförderung Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Verband der deutschen Filmkritik (VdFk). Den Preis für die beste Filmkritik gewann Cristina Nord für einen Beitrag in der „taz“, doch mit dem Jahresstipendium über 12.000 Euro wurde ein Online-Schreiber ausgezeichnet: Nino Klingler, der regelmäßig für „critic.de“ Rezensionen und Artikel verfasst. Freundlicherweise war Nino gestern zu einem kurzen E-Mail-Interview bereit.

Herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis. Ich weiß, es ist eine blöde Frage, aber wie fühlt es sich an, ein Preisträger-Pionier zu sein?

Hm. Gut, denke ich. Ist ja auch ein feiner Preis.

In deiner Biografie auf „critic.de“ steht, dass du Filmwissenschaft und Philosophie studierst. War der Weg zur Filmkritik für dich ein logischer oder wie bist du dahin gekommen, wo du jetzt stehst?

Nein, logisch im Sinne von zwangsläufig oder selbstverständlich war das ganz und gar nicht. Aus eigenen Antrieb wäre ich womöglich niemals zur Filmkritik gekommen, dafür fehlt mir so einiges. Ich wurde allerdings einmal nach einem Seminar angesprochen, ob ich nicht Lust hätte, probeweise einen Text bei „critic.de“ zu veröffentlichen. So hat das angefangen. Also: Das Studium war insofern wichtig, als es die Verbindung ermöglicht hat. Am Institut für Theaterwissenschaft der FU Berlin geht es ja durchaus familiär zu. Aber ein logischer Schritt aus Perspektive meines Studienerlebens war es nicht, Kritiken zu schreiben. Ich war lieber allein mit Buch und Filmen und streitbar abends mit meinen Freunden.

„Ich lasse mich vom Film anstoßen“

Was ist dir wichtig, wenn du einen Text schreibst? Worauf versuchst du zu achten?

Ein System habe ich nicht. Deswegen sitze ich ziemlich oft ziemlich lange vor einem weißen Bildschirm, was durchaus quälerisch sein kann. Wenn ich derart bei Null anfange, fühle ich mich gezwungen, woanders anzufangen als bei mir. Heißt: beim Film und bei meinen Notizen und Erinnerungen an die Seance. Ich lasse mich letztlich immer vom Film (oder was auch immer) anstoßen, versuche, allem so vorurteilsfrei wie möglich zu begegnen. Auch, wenn ich dann manchmal ziemlich weit weg vom Terrain des Filmes lande. Das ist die Gefahr.

Du hast den Preis für deine Texte auf „critic.de“ bekommen, was ja auch für eine gewisse Wertschätzung der Online-Filmkritik seitens des VdFk spricht. Macht es für dich einen Unterschied, ob du für eine Online-Publikation oder eine Print-Publikation schreibst? Hast du eine grundsätzliche Meinung zur Lage der Filmkritik im deutschsprachigen Internet?

Zuallererst: Der Preis wurde nicht von der VdFk vergeben, sondern von einer unabhängig besetzten Jury, die nach eigener Aussage die Texte anonym gelesen hat. (Das stimmt natürlich. Eine schlechte Recherche meinerseits und ein gutes System. – Alex) Dass ich online veröffentliche, sollte also keinen Einfluss auf die Entscheidung gehabt haben. Davon abgesehen bin ich sicherlich zu hundert Prozent Produkt der Möglichkeiten von Online-Filmkritik. Ich wäre ja angesichts meiner schwach ausgeprägten Ambitionen niemals an ein Printmedium heran getreten. Nur durch die vergleichsweise niedrige Eintrittsschwelle ins Netz konnte ich überhaupt anfangen. Ich sehe das absolut positiv. Niedrige Eintrittsschwelle bedeutet für mich eben nicht, dass das Niveau leidet, sondern dass der Zugang freier wird. Und die Stimmen diverser. Ich habe bisher vielleicht vier Texte auf Papier veröffentlicht, das heißt so gut wie gar nicht. Aber es fühlt sich schon fein an, definitiver irgendwie. Ich kann ja nicht verhehlen, dass ich den altgedienten Anerkennungsstrukturen noch anhänge.

„Ich mag Diskutieren unglaublich gerne“

Hast du das Gefühl, gut mit anderen Online-Filmkritikern und Bloggern vernetzt zu sein? Oder ist das überhaupt notwendig und wichtig?

Oh … Ich bin sehr, sehr schlecht vernetzt. Das liegt an mir. Im digitalen wie im materiellen Leben gehört das Kontaktaufbauenundpflegen nicht gerade zu meinen Stärken. Hier in Berlin kenne ich schon einige meist ganz famose Kritiker, da begegnet man sich von Zeit zu Zeit. Ansonsten bin ich eher auf Tauchstation, allerdings ohne Überzeugung. Ich mag ja Diskutieren unglaublich gerne. Ich will meine Position da schon lange mal überdenken, gerade was Social Media angeht hänge ich zu innig an meinen Skrupeln.

Du hast jetzt zwar selbst einen Nachwuchspreis bekommen, aber gibt es trotzdem etwas, was du angehenden Filmschreibern mit auf den Weg geben würdest?

Oh Gott, nein. Oder doch: Vermeidet den Nominalstil! Und bringt mir bei, wie das geht …

Weißt du schon, wie es weitergeht mit dir und der Filmkritik?

Ich habe mir vorgenommen, da Anfang nächstes Jahr mal im Sinne von Planung drüber nachzudenken. Jetzt lasse ich alles, wie es ist.

„Ich bin ein verwerflicher Opportunist“

Letzte Frage: Dein Preis ist nach Siegfried Kracauer benannt. Bist du Fan von Kracauers Sichtweise auf Film als „Errettung der äußeren Wirklichkeit“? (Ich persönlich bin ja eher ein Anhänger der Arnheim-Balazs-Tradition)

Oh, ich bin kein Schul-Anhänger. Ich bin ein wahrscheinlich recht verwerflicher Opportunist. Die Sache mit der Errettung erklärt eben einiges ziemlich gut. Vor allem aber lässt sich mit diesem Gedanken eine bestimmte Art, sich filmisch mit der Welt auseinanderzusetzen, gut beurteilen. Aber das ist keine Glaubenssache für mich. Und auf Balazs wollte ich deswegen schon gar nicht verzichten. Ansonsten halte ich es eher mit dem frühen Kracauer. Wenn ich den Photographie-Aufsatz von 1927 lese, wird mir jedes Mal wieder schwindelig. Da bin ich dann schon Fan.

Danke für deine Mühen und viel Erfolg in der Zukunft.

Ninos „Chef“ Frédéric Jaeger habe ich Anfang des Jahres interviewt.

© Pandora Film

Waltz with Bashir

Mir wurden – wie wahrscheinlich einer Menge anderer Menschen – vor fünf Jahren auf neue Art die Augen geöffnet. In Waltz with Bashir verarbeitet Regisseur Ari Folman sein Trauma aus dem Libanonkrieg auf ungewöhnliche Weise. Er mischt Gespräche mit alten Weggefährten mit ihren und seinen Erinnerungen, und weil es gerade für die Erinnerungen kein Bildmaterial gibt, ist der ganze Film animiert. Die Animation erlaubt es Folman, aus realen Begebenheiten, Eindrücken, Träumen und Wahnvorstellungen ein stimmungsvolles Gesamtkunstwerk zu schaffen, das tief sitzende Wahrheiten zutage fördert. Waltz with Bashir ist kein Spielfilm, es geht nicht um eine dramatische Nacherzählung eines realen Ereignisses wie etwa in United 93, er ist im Grunde ein Dokumentarfilm. Aber er ist auch animiert.

Folman brachte eine Filmgattung an die breite Öffentlichkeit, die es eigentlich schon lange gibt, nur eben nicht in diesem Ausmaß, den animierten Dokumentarfilm, kurz: AnimaDok. Wenn man es genau bedenkt hat die Animation immer schon ihren Platz im Dokumentarischen gehabt, man denke an Propagandafilme aus dem Zweiten Weltkrieg, an Grafiken in naturwissenschaftlichen Dokus und an Produktionen wie „Walking with Dinosaurs“. Seit dem Bashir-Knall aber versuchen auch immer wieder Filmemacher, sich damit größeren dokumentarischen Subjekten zu nähern.

Die Expertin

Annegret Richter kennt sich mit dem Thema animierte Dokumentarfilme perfekt aus. Sie ist Bereichleiterin Animationsfilm beim Festival DOK Leipzig, das dieses Jahr einen Preis für den besten animierten Dokumentarfilm ins Leben gerufen hat, und auch ihre Dissertation widmet sich dem Thema. Als ich anfing, über das Thema für einen Blogeintrag nachzudenken, habe ich ihr ein paar Fragen per E-Mail geschickt, die sie freundlicherweise beantwortet hat.

© DOK Leipzig

Annegret Richter

Das Absurde am animierten Dokumentarfilm ist ja eigentlich, dass die beiden Filmgattungen einander unähnlicher nicht sein könnten. Der Dokumentarfilm versucht, in bester Bazinscher Manier, Ungeplantes einzufangen – hingegen gibt es kaum etwas, was mehr sorgfältiger Planung bedarf, als ein Animationsfilm. Doch den Gegensatz lässt Annegret Richter nicht gelten.

„Der Ansatz beim animierten Dokumentarfilm ist ein anderer. Denn es handelt sich hier oft um Dokumentarfilme, die Themen bearbeiten, bei denen man nicht ausschließlich reale Bilder verwenden kann. Animation wird dann benutzt, wenn man Erinnerungen, historische Momente oder psychologische Aspekte aufzeigen will oder wenn die Protagonisten geschützt werden müssen. Durch den puren Gebrauch der Animation und die Wahl der jeweiligen Ästhetik kann außerdem eine zusätzliche Ebene der Erzählung – eine Art Subtext – geschaffen werden, der sich nur dadurch und rein visuell erschließt. Deshalb können sich Dokumentarfilm und Animationsfilm sehr gut ergänzen, aber nicht jeder Dokumentarfilm braucht Animation und umgekehrt.“

Drei Beispiele

Die animierten Dok-Langfilme, die mir in den letzten Jahren über den Weg gelaufen sind, gehen unterschiedliche Wege in dieser Hinsicht. Couleur de Peau: Miel etwa, in dem der Cartoonist Jung seine Kindheit als koreanisches Adoptivkind in Belgien reflektiert (und die wir dieses Frühjahr in 3sat gezeigt haben), wird in seinen animierten Szenen eigentlich zum fiktionalisierten Film, mit geskripteten Dialogen, die von Sprechern gelesen werden. Und doch basiert der Film auf den Erinnerungen seines Protagonisten, spiegelt dessen Zeichenstil wieder und bemüht sich (im Gegensatz etwa zu Persepolis) um einen gewissen Naturalismus.

Pequeñas Voces, eine Aufarbeitung von Kindersoldaten-Schicksalen in Kolumbien, versucht, Authentizität in die Künstlichkeit zu retten, indem er Elemente aus Kinderzeichnungen in seine animierten Sequenzen einbaut. Leider wirken dadurch alle anderen Figuren und Umgebungen umso künstlicher, eine idealisierte Version von Kinderzeichnungen, die den bewegenden Schicksalen mit ihrem Kitschfaktor den Punch raubt. A Liar’s Autobiography schließlich, die animierte Fassung des Lebens von Python-Frontmann Graham Chapman, die ich gerade in „Close up“ besprochen habe, weist ja schon im Titel auf seine Mischung aus Fakt und Fiktion hin. Doch der Film basiert auf dem realen Leben von Chapman und seine Stimme trägt den Film. Aus den Aufnahmen spricht das Dokumentarische des Films, selbst wenn alles andere um sie herum in Phantasterei explodiert.

© Senator

A Liar’s Autobiography

Das Post-Bashir-Zeitalter

Annegret Richter stimmt mir zu, als ich sie frage, ob Waltz with Bashir in Sachen AnimaDok einige Schleusentore geöffnet hat.

„Vor 2008 haben selbst Leute aus dem Filmgeschäft irritiert geschaut, wenn wir von animierten Dokumentarfilmen gesprochen haben. Es gab nur eine kleine Gruppe von Filmwissenschaftlern und Filmemachern weltweit, die sich ernsthaft damit auseinander gesetzt haben. Durch den Erfolg von „Walz with Bashir „ist die Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit größer geworden und Produzenten haben sich plötzlich dafür interessiert. Aber es ist spürbar, dass im Dokumentarfilmbereich gerade ein Ausloten der Gattungsgrenzen und natürlich auch das Überschreiten dieser Grenzen ein Thema sind. Es ist sehr erfrischend, Filme zu sehen, die vor einigen Jahren so nie hätten gemacht werden können. Oft sind das dann Arbeiten von jungen Regisseuren, die weniger Berührungsängste haben und bei ihren Projekten sowieso schon in Cross Genre / Cross Media denken.“

Dass sich im Dokumentarfilm derzeit einiges bewegt, ist allerorten zu spüren. Selbst in den USA wird das Thema dieses Jahr immer wieder aufs Tapet gebracht, auch dank Filmen wie The Act of Killing und Leviathan (die ich beide noch nicht gesehen habe). Was den animierten Dokumentarfilm angeht, sagt Annegret Richter trotzdem:

Aber eigentlich ist das alles nicht neu und aus diesem Grund haben wir in diesem Jahr die Einführung der Goldenen Taube für den besten animierten Dokumentarfilm auch mit dem Sonderprogramm „Film Unlimited – Grierson, McLaren und die Anfänge von Animadok“ flankiert. Wir haben dafür Filme ausgewählt, die unserer Meinung nach zeigen, dass bereits ab den 1930er Jahren in England und Kanada viele bekannte Filmemacher jenseits der Gattungsbegriffe von Dokumentar- und Animationsfilm ihre Filmthemen umsetzten und dabei eine visuelle Experimentierfreudigkeit und Fantasie an den Tag legten, wie sie heute kaum noch zu finden ist.

Bei DOK Leipzig, ein Festival, das ja sowieso Dokumentar- und Animationsfilme zeigt (und sich deswegen als ein gutes Zuhause für den weltweit ersten AnimaDok-Preis begreift), sind animierte Dokumentarfilme (meist in ihrer kurzen Form) schon seit 17 Jahren ein Thema.

Seit einigen Jahren fordern wir Filmemacher aktiv auf, ihre animierten Dokumentarfilme bei uns einzureichen und viele haben bereits Preise beim Festival gewonnen, aber jeweils in unserer bisherigen Festivalkategorien (z.B. „Tying your own Shoes“ von Shira Avni aus Kanada, gewann 2009 die Goldene Taube für den besten kurzen Dokumentarfilm im Internationalen Wettbewerb, „Father“, ein Film aus Deutschland, gewann 2012 im Internationalen Wettbewerb Animationsfilm die Goldene Taube, etc.) Das zeigt, dass Filmemacher aus beiden Bereichen sich mittlerweile sehr intensiv mit den Möglichkeiten dieser Hybridform auseinandersetzen. Wobei man sagen muss, dass im Animationsbereich schon immer sehr offen mit dem Dokumentarischen umgegangen wurde, und es deshalb seit Anbeginn des Filmschaffens animierte Dokumentarfilme aus der Animation heraus gab.

© Gebeka Films

Couleur de Peau: Miel

Ein offener Begriff

Diese Offenheit bedeutet jedoch auch, dass der Begriff „animierter Dokumentarfilm“ weit gefasst werden kann. Er ist „noch nicht definiert“ meint Annegret Richter, und das sei auch gut so.

Denn auch bei DOK Leipzig reicht die Bandbreite der Filme, die wir unter dem Begriff zusammenfassen von Dokumentarfilm mit geringem Animationsanteil bis zum 100% animierten Film. Denn der Begriff lässt sich nicht an der Menge an Animationssequenzen festmachen, sondern daran, welche inhaltliche Bedeutung die Animation bzw. das Dokumentarische im Film einnimmt. Es geht ja auch immer um ein Gefühl das beim Publikum erzeugt wird und das im besten Falle Authentizität vermittelt.

Insgesamt jedenfalls stehen alle Zeichen auf Hybridität. „Ich denke, dass Animadok-Filme, aber auch andere hybride Mischformen immer mehr an Bedeutung gewinnen und gerade für die Vernetzung von Film mit Games und Internet eine große und wichtige Rolle spielen werden.“ Sind nicht „Let’s Play“-Videos im Grunde auch animierte Dokumentarfilme? Was ist der Unterschied zwischen einem mit Xtranormal umgesetzten Abschrift eines Gerichtsprotokolls und einem Film wie Chacago 10? Scheint, als stünde uns in diesem Bereich noch eine sehr interessante Zukunft bevor.


DOK Leipzig beginnt am 28. Oktober.

© Warner Bros.

Manchmal kann man Filme nach dem Kinogang nicht alleine verarbeiten. Wie gut, dass das Internet einem oft die besten Gesprächspartner zur Verfügung stellt. Nach dem Ansehen von Alfonso Cuarons Gravity habe ich mich mit Filmemacher und „Real Virtuality“-Gastblogger Sebastian Mattukat zusammen hinter den Instant Messenger geklemmt und Gedanken über das Weltraumdrama ausgetauscht. Logischerweise ist das Gespräch voll mit Spoilern.

Alex: Sebastian, du hast gesagt, du hast erhöhten Redebedarf bei „Gravity“. Warum?

Sebastian: Weil ich es furchtbar finde, dass die ersten 30 Minuten mehr oder weniger aus dem Rechner sind und real aussehen. Für mich ist Gravity sowas wie Final Fantasy 2, die komplette Eliminierung des Zufalls und damit dessen, was für mich Film zum großen Teil mit ausmacht. Es ist keine Kunst, einen 15-Minuten-One-Take aus dem Rechner zu erzeugen. Aber eine Plansequenz wie in Joe Wrights Abbitte schon. Und das ist für mich ein großer Punkt, warum der Film so fürchterlich unemotional ist. Man vergleiche ihn nur mit Soderberghs Solaris. Der Film verbreitet eine tiefe Melancholie. Ob man ihn jetzt mag oder nicht, Remake hin oder her, aber er vermittelt wunderbar das Gefühl von Einsamkeit im All.

Alex: Ich habe schon einen interessanten Artikel gelesen, der die Frage stellt, ob Gravity nicht streng genommen sowieso ein animierter Film ist. Und selbst Kameramann Lubezki hat zugegeben, dass es einige Passagen gibt, wo der Film nah dran ist am Uncanny Valley, nämlich dort, wo Bullock durch die Raumstation von Modul zu Modul fliegt – und das war der Punkt, wo ich auch an Final Fantasy denken musste. Aber ich habe das Gefühl, es geht Cuaron gar nicht um das Angeben mit tollen Kameramoves sondern um das Erleben in Echtzeit. Hat das bei dir nicht funktioniert?

Sebastian: Jein. Also ich hatte das Gefühl, dass gerade die Anfangssequenz schon sehr gewollt war. Die hätte auch mit Schnitt funktioniert. Ich hatte letztens ein interessantes Gespräch mit meinem Kameramann, der meinte, bei einem Film, den zum Beispiel Roger Deakins fotografiert, stellt sich dem Betrachter nie die Frage, ob die Kamera auch woanders hätte stehen können. Das fand ich extrem interessant. Es gibt, wenn man drüber nachdenkt, immer wieder Filme, da steht die Kamera perfekt. Gravitys Anfang gehört auf jeden Fall nicht dazu. Der hat mehr den Anschein von einem Videospiel in seiner Ungeschnittenheit. Wie CinemaScope auf Twitter schon meinte: „GRAVITY is like watching someone playing a video game who has mastered all of the levels.“ Die Eliminierung des Zufalls ist das, was vielen Blockbustern durch ihre Effektorgien so viel an Sympathie raubt.

© Warner Bros.

Alex: Ich weiß aber nicht, ob es die rein formale Komponente ist, die den Film auch für mich irgendwie unemotional hat erscheinen lassen. Im Grunde besteht der Film ja aus der „Open the Pod Bay Doors, Hal“-Sequenz aus 2001, nur auf 90 Minuten gedehnt. Aber während Dave bei 2001 am Ende seiner Mission in die endlose, spirituelle Weite des Alls entführt wird, „Beyond the infinite“, will Ryan hier nur zur Erde zurück. Dieser ganze Sense of Wonder, von dem George Clooneys Charakter die ganze Zeit redet, kam für mich nicht so recht auf. Wie war das bei dir?

Sebastian: Überhaupt nicht. Dafür hat man aber auch viel zu wenig von der Erde und dem All gesehen. Ständig ist etwas explodiert oder ging schief. Man hat nie in die Tiefe schauen können, hat nie traurig werden können aufgrund der Einsamkeit, hat dadurch nie die Schönheit der Erde gesehen.

Alex: Naja, doch so ein bisschen. Die Momente der Ruhe gab es schon.

Sebastian: Aber die waren alle drinnen. Außer einmal, wenn er sie in Richtung ISS zieht und dann die Musik anschaltet.

Alex: Als Sandra Bullock zum ersten Mal aus dem Raumanzug klettert und da wie ein Fötus in der Luftschleuse hängt, das fand ich schon bewegend. Und auch diese schreckliche Isolation, der einzige Mensch weit und breit in einem riesigen Vakuum zu sein. Das konnte man auch spüren. Aber sonst wurde alles von einer ständigen Anspannung überdeckt. Mir fehlten diese großen Atmer, in denen die Ehrfurcht vor dem All spürbar wird.

© Warner Bros.

Sebastian: Das war mir ein bisschen zu viel 2001. Und dann mit dem Ende und dem Aufstehen als Mensch … Was bei Alien, 2001 und Solaris zum Beispiel anders ist, ist, dass sie das Ruhige nicht totquatschen. Da ist es bei Alien halt gruselig, bei 2001 strange und bei Solaris tieftraurig.

Alex: Und hier?

Sebastian: Der Moment, wo sie da lang fliegen am Anfang, wird über-redet mit dem, was man fühlen soll. Und innen, bei dieser Fötusnummer, sind die Bilder zu symbolisch. Man kann nicht durchatmen, was ja Teil des Konzeptes ist. Aber dann ist man halt auch mehr bei einem normalen Actionfilm, nur eben im Weltraum. Selbst die ruhigen Momente sind mega-aufgeladen. Was zum Beispiel supergut hätte werden können ist, wenn die Szene mit Clooney in der Kapsel länger gewesen wäre. Wenn sie sphärischer gewesen wäre. Das fand ich kurzzeitig richtig stark, aber dann war sie schon wieder wach und zurück in der Realitität. Wie geil wäre es gewesen, wenn am Ende ein Hinweise gegeben worden wäre, dass sie noch da oben ist.

Alex: Stimmt. Darüber hab ich noch gar nicht nachgedacht. Aber ich glaube das entspricht nicht Cuarons Weltbild, so etwas Gemeines.

Sebastian: Das wäre aber so richtig toll gewesen, dann ginge der Pathos auch auf.

© Warner Bros.

Alex: Wie bei jedem 3D-Film hätte ich mir übrigens mehr Close-ups gewünscht. Ich finde, dabei entsteht eine Intimität, die man so im Kino sonst nicht erlebt.

Sebastian: Ja, wobei Gravity ja auch von der Story her nicht wirklich nah dran an den Figuren war. Sie hatte halt ein totes Kind und kann ohne probleme kyrillische Anleitungen lesen. Aber ich weiß, was du meinst. Drinnen fehlte denen einfach die Weite des Raumes und im All gabs oft ja nur die unendlichen Weiten des Films.

Alex: Dieses übermäßige Aufladen der Figuren mit Klischees hat mich auch gestört. Sie ist ganz die emotionale Heldin mit totem Kind, und er ist ein so routinierter Astronaut, dass er sogar beim Sterben nur daran denkt, den Rekord von jemand anderem zu brechen. Ich frage mich, ob man solche Figuren braucht, wenn die Action oder das All die Hauptrolle spielen soll, oder ob man mit Charakteren, die etwas mehr wie echte Menschen gewirkt hätten, vielleicht mehr Emotionalität hätte erreichen können. Hier wirkte die Emotionalität auf mich nur so per Ansage erzeugt. „Sie hat ein totes Kind, fühlt gefälligst mit ihr“.

Sebastian: Ja, er hätte deutlich mehr Profil haben können, gerade wenn er stirbt. Wie wäre es gewesen, wenn sie gelogen hätte vor ihm. Wenn sie irgendwie an dem toten Kind Schuld gehabt hätte, es aber niemanden verraten hat. Aber dann, ganz alleine, erzählt sie es den Chinesen, dass sie es damals verzockt hat.

Alex: Ändert alles übrigens nicht daran, dass ich trotzdem finde, dass „Gravity“ ein erstaunlicher Film ist. Bei allem, was ich jetzt hier bekrittelt habe, dieser Stilwille und dieser Mut zum extremen Experiment mitten innerhalb des Mainstreamkinos, davor muss man schon den Hut ziehen. Und langweilig war mir auch nicht im Kino.

Sebastian: Nee, langweilig war es nicht, aber auch nicht besonders doll. Passte in das Kinojahr und war einer der besseren Vertreter. Jetzt muss es Lars mit Nymphomaniac richten.

© Warner Bros.

Alex: Ich interessiere mich ja schon länger für Filme, die an der Grenze zwischen Animation und Realfilm liegen. Mein vorheriges Lieblingsbeispiel war immer 300. Insofern ist Gravity da auf jeden Fall auch ein interessanter neuer Eintrag in die Annalen der VFX-Geschichte. Ich hoffe, dass noch mehr Bildmaterial von den Dreharbeiten auftaucht und ich werde mir das auf der BluRay auf jeden Fall auch noch einmal sehr genau anschauen. Ich finde ja, dass Filme die auf sehr hohem Niveau manchmal in letzter Instanz scheitern (obwohl die Kritiker sich ja größtenteils doch vor Lob überschlagen) häufig historisch gesehen interessanter sein können, als filmische Triumphe, die dadurch entstehen, dass man die letzte Meile sicherheitshalber nicht geht. Für mich ist Gravity ersteres und damit insgesamt dennoch einer der besten Filme des Jahres. Ich überlege die ganze Zeit, ob es sich lohnen könnte, ihn ein zweites Mal zu sehen.

Sebastian: Bei Children of Men gibt es am Ende diese Einstellung wo Clive Owen durch die Straßen rennt, in das Hochhaus, um das Kind zu retten. Die konnten die Einstellung nur drei- oder viermal machen. Dann spritzt Blut an die Optik und Cuaron ruft „Schnitt!“, doch aufgrund einer Explosion hört ihn niemand und der Take läuft weiter. Die ganze Szenerie ist unfassbar real. So etwas fehlt mir bei Gravitiy. Der Film ist zu perfekt.

Nachdem ich den Filmemacher und Blogger Christoph Hochhäusler im Januar schon im Rahmen meiner Untersuchung zur Film-Blogosphäre per E-Mail interviewen konnte, hatte ich im März auch Gelegenheit, ihn persönlich in Berlin zu treffen.

Das Ergebnis unseres Gesprächs ist jetzt online zu bewundern, in Form einer Gastkritik in der aktuellen „Close up“-Sendung – und in einem Videointerview mit sieben weiteren Fragen zu seiner Arbeitsweise.

Christoph dreht dieses Jahr einen neuen Film namens Lichtjahre – über einen Journalisten, der manipuliert wird, ohne es zu wissen. Ich frage mich, ob er mir damit irgendwas sagen will?

„Close up“ läuft heute abend um 22.10 Uhr in ZDFkultur und wird am Dienstag um 21.45 Uhr in 3sat wiederholt.

Für mein polemisches Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.

Das Beste zum Schluss, oder auch: Ente gut, alles gut. Als ich Sidney Scherings Blog „Sir Donnerbolds Bagatellen“ gefunden hatte, wusste ich, dass ich dort (vielleicht abgesehen vom Blogdesign-Geschmack) auf einen Gleichgesinnten gestoßen war. Sir Donnerbold bloggt über Filme, aber er weiß, welche Filme er sich aussucht, und seine Artikel speisen sich zu großen Teilen aus einem enzyklopädischen Wissen über diese Filme, vor allem über Disney, über Animation und das Hollywood-System. Es hat mich also gar nicht gewundert, dass Sidney die gleichen Dinge in der deutschen Blogosphäre vermisst, wie ich.

Beschreibst du kurz in eigenen Worten, was du bei „Sir Donnerbolds Bagatellen“ machst, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?

In meinem Blog fasse ich, so weit es mir zeitlich möglich ist, meine Gedanken zu Filmneuigkeiten und anderen Dingen aus der Welt der medialen Unterhaltung zusammen, außerdem bespreche ich einige Filme – leider nicht alle, die ich sehe, denn dann hätte ich keine Zeit mehr, welche zu gucken. Ich mache das seit Dezember 2007, als mich mein innerer Schreibdrang überwältigte und mir meine alten Stammforen nicht mehr für meine langen Lamenti geeignet schienen.

Denkst du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu „dürfen“?

Ich denke, dass man für einen lesenswerten Blog generell nur Passion für das gewählte Thema und eine halbwegs interessante Schreibe benötigt. Ein professioneller Hintergrund kann spannende Einsichten gewähren, aber ebenso kann ein „amateurhafter Blick“ für reizvolle Artikel herhalten.

Dein Blog beschränkt sich thematisch hauptsächlich auf deine Disney-Leidenschaft, aber du weichst gelegentlich auch davon ab und schreibst zum Beispiel über Musik – wonach wählst du aus, worüber du schreibst?

Die faszinierende Welt Disneys ist meine größte Passion in der Welt der Medien und der Unterhaltungskunst, so dass es sich irgendwie von selbst ergibt, dass ich darüber am häufigsten schreibe. Disney lässt es am schnellsten unter meinen Nägeln brennen – jedoch sah ich meinen Blog nie als semi-professionelle Disney-Seite, sondern stets als virtuelle Auslagerung meines Schreibdrangs. Deshalb thematisiere ich in meinem Blog, wonach es mir steht, also auch Filme, die niemals unter dem Disney-Label erscheinen würden oder Metalalben. Das ist gewiss keine thematische Ausrichtung, wie man sie in einem Seminar über Medienpublikationen erlernen würde, doch das schert mich nicht – ich will mich ausdrücken und kein werbefähiges Produkt liefern. Mein Blog ist ein Hobby, kein Job. Zudem hoffe ich, durch den Themenmix beweisen zu können: Solche Interessen schließen einander nicht aus.

Mehrere Serien in deinem Blog werden von Gastautoren geschrieben. Wer sind sie und wie funktioniert diese Kollaboration?

„Aku Ankka“ (aka Kevin, einem Administrator der Duckipedia) und ich lamentierten eines Tages im ICQ, dass die deutsche (digitale) Disney-Fangemeinde in zwei Extreme verfällt: Diejenigen, die ihr Disneywissen scheinbar über ihre Passion stellen, und jene, die ihre Lieblingsfilme und -figuren haben, doch über Wissen erstaunt sind, das auf englischsprachigen Disney-Seiten als Allgemeinwissen durchginge. Natürlich gibt es Ausnahmen, dennoch fanden wir, dass der typische US-Mix aus Wissen und Passion im deutschen Web untergeht. Deshalb liebäugelten wir mit einem neuen Fanprojekt, das mit feurigem Eifer seine Liebe zu Disney erklärt, und dies auf informative Weise. Also eben nicht noch ein Fanlexikon, nicht noch eine „Wow, ist das toll!“-Seite (die allesamt ihre Berechtigung haben!), sondern ein Mittelding. Um „Im Schatten der Maus“ zu erproben und bekannt zu machen, startete es als „Programm“ innerhalb meines Blogs, zu Beginn rekrutierte ich noch Ananke Ro, eine enge, langjährige Freundin von mir, die ebenfalls ein echter Disney-Crack ist. Mit „Case“ (aka Jan) stieß Ende 2012 noch ein Arbeitskollege von mir hinzu – für die Zukunft hoffe ich, weitere Autoren zu finden und eine eigenständige Seite zum Thema starten zu können.

Hast du den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben?

Ich habe den Eindruck, dass es eine locker verknüpfte deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt. Private (Hobby-)Blogs mit Schwerpunkt Film scheinen sich schnell anzufreunden und auch mal Stöckchen, Fragebögen oder ähnliches auszutauschen, aber man könnte sie genauso gut als Teil der „normalen“ Blogosphäre bezeichnen, da sie auch über persönliche Interessen tratschen. Reine Filmblogs, noch dazu professionelle oder semiprofessionelle, scheinen mir im deutschsprachigen Raum doch giftiger zueinander zu stehen als US-Seiten. Ich denke da schwärmend an Comic-Con-Videologs, in denen Autoren von „/Film“, „Collider“, „First Showing“, „Joblo“ und „Cinema Blend“ wie Kumpels zusammenhängen. Das scheint es hier nicht zu geben.

Du erwähnst zwei der Dinge, die mir auch in US-Blogs aufgefallen sind, und die ich hier vermisse. Die Mischung aus Passion und Information einerseits und andererseits das große Gemeinschaftsgefühl zwischen den Blogs, die auch regelmäßig beieinander zu Gast sind. Was meinst du, woran liegt es, dass das hier nicht so ist? Und: Müssen wir den Amerikanern überhaupt alles nachmachen?

Natürlich muss man den Amerikanern nicht alles nachmachen, aber was ist schon gegen etwas Freundschaft unter Leuten, die der selben Passion nachgehen, auszusetzen? Dass die „Tagesschau“ nicht täglich zwei Minuten einräumt, in denen via Liveschalte Witze mit den Moderatoren von „heute“ gemacht werden, ist ja selbstredend, schließlich geht es da um Information über Weltpolitik. Aber wenn Onlinemedien zu Film und Fernsehen, die auch aus Liebe zum Thema geführt werden, sich wie Todfeinde ankeifen, was hat man schon davon?

Was die Mischung aus Passion und Information angeht: Ich freue mich über rein passionierte und rein informative Webseiten, doch es braucht meiner Meinung nach halt auch die Hybriden. Um es am Beispiel Disney zu erklären, wo mich dieser Mangel ja so stört: Ich denke, dass eine Mischung aus beiden Herangehensweisen wieder passionierte, doch auch fundierte Webdiskussionen anstoßen und zudem Gelegenheitszuschauer zu Fans machen kann. Wer hie und da einen Disney-Film guckt, wird sich keine Faktensammlungen zu Herzen nehmen und über liebessüchtige Blogeinträge lachen. Der Mittelweg reicht ihm die Hand („Och, das ist ja interessant, so genau habe ich bei Disney nie hingeguckt. Ah, nun verstehe ich dieses laute Fangejubel“), während Fans vergnügliches Lesematerial erhalten.

Weshalb es im deutschsprachigen Web so viel Konkurrenzdenken bei Onlinemedien gibt? Vielleicht ist es das Erbe unserer journalistischen Vergangenheit – grob vereinfacht und stark verallgemeinert entstanden professionelle US-Filmblogs aus Zuneigung zum Thema, während sich professionelle deutsche Webseiten zu Themen abseits des üblichen Nachrichten-Themenmix als Ergänzung des klassischen Journalismus verstehen. Dass „Wir lieben Filme und denken viel drüber nach“ aber nunmal nicht „Tagesthemen online“ ist, wird da leicht übersehen. Ich verlange ja keine Aufweichung der Nachrichtenkriterien, sondern nur ein weniger steifes Selbstbild. Und was die passioniert informierenden Hobbyblogs angeht? Keine Ahnung. In englischer Sprache sind Publikum und potenzielle Autorenschaft größer, vielleicht sind deshalb die Chancen größer, dass sowas entsteht und besteht.

Ist dir „Erfolg“ beim Bloggen wichtig? Bist du in deinen Augen mit deinem Blog erfolgreich?

Sagen wir so: Verschwindender Erfolg schmerzt mehr, als dass mich steigender Erfolg freut. Wenn die Leserzahlen nur ein bisschen sinken, jammere ich, wenn sie steigen, müssen sie deutlich steigen, damit ich mich freue, weil ich bei kleinen Anstiegszahlen nur denke „Och, joah, ist nur ein Hobby, aber schön, dass es gefällt.“ Mich würden mehr Kommentare freuen, da mir die Interaktion wichtiger ist als bloße Zahlenprahlerei. Doch auch bei so vielen stillen Lesern fühle ich mich erfolgreich genug, um nicht mehr zu denken, dass ich allein für mich selbst blogge. Ich fühle mich seit einigen Jahren gegenüber meinen Leserinnen und Lesern in der Pflicht, weshalb ich bei Durststrecken ein mieses gewissen bekomme. Zur Oscarsaision 2012/13 etwa war die Zeit für Oscar-Prognosen zu knapp, aber weil die Oscar-Artikel beliebt sind, habe ich mich da durchgebissen.

Welche Blogs (über Film und drumherum) liest du selbst? Zu welchem Zweck?

Die großen US-Blogs meiner Linkliste lese ich, um auf dem Laufenden zu bleiben, den Rest aus Interesse und zum Zeitvertreib.

Gibt es nach deiner Ansicht im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien? Was wären die?

Uff, da bin ich überfragt. Jeder, mit dem ich spreche, hast seine eigenen Favoriten, also scheint der Konsens für ein Leitmedium zu fehlen. Oder ich kenne die falschen Leute.

Wie würde die Netz-Film-Sphäre in einer perfekten Welt aussehen?

Ich ahne, dass ich zu einer riesigen Antwort fähig bin – derzeit fehlt mir dazu aber die Kreativität. Sorry. In einer perfekten Welt würde jedenfalls der Link-, Kommentar- und Leserneid wegbrechen. Und das dauernde „Hey, 10 Seiten in meinem Reader haben das schon gepostet, hört auf damit, es auch zu posten!“-Gemecker. Denn nicht jeder User liest zig Seiten.

„Reihe Sieben“ war die „Wild Card“ in meinem Interview-Raster. Ein Blog, das ich erst recht spät entdeckt habe und nicht kannte, das mich aber durch sein professionelles Design beeindruckte. Ob da wohl eine Geschichte dahinter steckt? Interessiert hat mich außerdem, ob ein so sichtbares und prominentes Werbe-Netzwerk wie „Wirliebenfilme“ zu Gemeinschaftsgefühlen unter den angeschlossenen Blogs führt. Seiteninhaber Martin Beck erklärt alles im Interview, knapp und prägnant.

Beschreibst du kurz in eigenen Worten, was für ein Blog du schreibst, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?

„Reihe Sieben“ gibt es seit 2 Jahren. Entstanden ist die Seite aus dem Wunsch, so eine Art deutsches „Twitch“ aufzuziehen – was sich aber einfach nicht stemmen ließ, trotz zeitweise über 20 Mitschreibern. Momentan plätschert „Reihe Sieben“ etwas dahin, weil einfach die Zeit fehlt und trotzdem ab und an ein bisschen davon übrig ist.

Der Ansatz war auf jeden Fall, das Nachplappern irgendwelcher Mainstream-News zu vermeiden und stattdessen gezielt neben der Spur zu graben. Ich selber bin schon seit vielen Jahren in Sachen Film aktiv, inklusive Artikeln in etlichen Magazinen. Reihe Sieben ergab sich dabei fast schon zwangsläufig, wobei aber die ursprüngliche Idee letztendlich interessanter war als es die Seite jemals hätte sein können.

Denkst du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu „dürfen“?

Das entscheidende Wort ist hier „sinnvoll“ – dann lautet die Antwort auf jeden Fall „ja“. Ansonsten aber ist Bloggen doch auch ein Freibrief für Laberrabarber – was jetzt gar nicht negativ gemeint ist, vor allem im Kontext der freien URL-Eingabe.

„Reihe Sieben“ wirkt sehr professionell aufgemacht. Man muss schon genauer hinsehen, um den Autor dahinter zu erkennen. Wonach wählst du deine Themen aus, was möchtest du mit dem Blog erreichen? Siehst du dich eher als Service-Orientiert oder lässt du deinen persönlichen Vorlieben freien Lauf?

Wie schon oben geschrieben: Twitch auf Deutsch klappt leider nicht, insofern ist der Service-Gedanke inzwischen kaum noch anwesend. Es geht ausschließlich um Themen, die mich selber oder die Schreiber interessieren. Alles andere ist natürlich auch möglich, aber dann halt mit einer soliden Redaktion und vor allem Werbeeinnahmen.

Wie misst du für dich den Erfolg deines Blogs? Ist dein Blog erfolgreich?

Die Zahlen misst Google Analytics – und wenn es danach geht, ist die Seite nicht erfolgreich. Ansonsten liegt der Erfolg in der eigenen Zufriedenheit mit den Texten und dem Feedback von Lesern.

Bekommst du regelmäßig Feedback auf das, was du schreibst? Bist du im Dialog mit deinen Lesern?

Im Dialog mit den Lesern muss man unbedingt sein, das gehört einfach dazu. Regelmäßiges Feedback im Sinne von „hey, wo bleibt der Kommentar von XY?“ gibt es aber nicht.

Du bist Teil des „Wir lieben Filme“-Netzwerks, was bedeutet das für dich?

Das ist mein Werbevermarkter. Eine andere Bedeutung kann ich nicht erkennen. :-)

Hast du den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben?

Mit ein paar wenigen Leuten bin ich freundschaftlich verbandelt, bei ein paar mehr Leuten denke ich mir „Wow, super Schreibe“ und bei ein paar viel mehr Leuten schüttle ich lieber den Kopf. Stichwort: Stuntschreiber.

Äh, was sind „Stuntschreiber“? Das höre ich zum ersten Mal

Das sind verzwirbelte Typen, die vor allem dadurch auf die Pauke hauen, dass sie a) möglichst viele Fremdwörter in möglichst lange Sätze packen und/oder b) ihre „Meinung“ immmer konträr zur kollektiven Empfindung postieren.

Welche Blogs liest du selbst? Zu welchem Zweck?

Die meisten Blogs, die ich lese, sind im Ausland beheimatet und dienen sowohl der Information als auch der Unterhaltung. Immer noch ganz vorne dabei: Twitch. Und /Film.

Gibt es im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien? Was wären die?

Facebook. Traurig aber wahr.

„Arthaus“ und „Mainstream“ – sind das Begriffe, die beim Bloggen eine Rolle spielen?

Nein.

Wenn du an der ganzen Sache mit dem Bloggen, wie es im Moment läuft, etwas ändern könntest, was würdest du ändern?

Weniger Herdentrieb, mehr Interesse für kleine Filme.

Für mein polemisches Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.

Sollte ich irgendwann mal dem Print endgültig den Rücken kehren und mein „epd film“-Abo kündigen, ich glaube, ich würde stattdessen regelmäßiger „critic.de“ lesen (wenn ich überhaupt mal Kritiken lesen würde, bin ja mehr so der Meta-Film-Mensch). Klar, bei der Autorenliste sind die Texte natürlich nicht nur gelegentlich etwas verkopft, aber – so merkwürdig das klingt – ich finde, das ganze wird ausgeglichen durch das ruhige und klare Design der Seite und die außergewöhnlich gute Navigierbarkeit.

„critic.de“ hat (ähnlich wie „Moviepilot“) meiner Ansicht nach das Zeug zum „Leitmedium“ (einen Begriff, den ich bald noch einmal näher erläutern werde, weil er viele schlechte Assoziationen geweckt hat). Zumindest ist klar: Wenn hier mal was passiert, erfährt es filmnetzweite Beachtung – zurecht. Mehr davon!

„critic.de“-Chef Frédéric Jaeger hat bereits kommentiert, dass er sich in meiner „Beschreibung nicht wieder[findet]“, aber ich glaube, da haben wir uns (wahrscheinlich aufgrund meiner Zuspitzung) missverstanden. Seinen Interview-Aussagen kann ich mich jedenfalls zu großen Teilen anschließen.

Beschreibst du kurz in eigenen Worten, was ihr bei critic.de macht, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?

Bei critic.de betreiben wir seit 2004 Filmkritik, wie wir sie verstehen. Filmkritik ist eine Haltung und eine journalistische Textgattung, die Haltung ist mir um Längen wichtiger. Angefangen hat es aus Verdruss über bestehende, konservative und marktschreierische Onlinemagazine und aus dem Vergnügen daran, etwas eigenes aufzubauen. Die Unabhängigkeit von ökonomischen Interessen bei der Gestaltung unseres Magazins war einer der Grundsätze. Der zweite, Film als Ausdrucksform oder Sprache zu betrachten (mehr denn als Vehikel), stammt sicherlich maßgeblich aus dem Filmwissenschaftsstudium, das viele Autoren verbindet. Ein dritter Grundsatz kam erst über die Jahre hinzu: Wir wollen uns einsetzen für eine Filmkultur in Deutschland, die ein Selbstbewusstsein jenseits von Quartalszahlen und Oscarnominierungen kennt, die sich weder hinter öffentlich-rechtlichen Relevanzkriterien (Themenfilme, leichtverdaulich aufbereitet und quotenfixiert) versteckt, noch einer sogenannten Professionalisierung hinterherhechelt, die fast immer an Unvermögen und fehlenden Mitteln scheitern muss (gute Beispiele sind zuletzt Til Schweiger und Oskar Roehler, die auch immer die Qualität ihres „Handwerks“ glauben betonen zu müssen). Wir treten ein für eine Filmkultur, die gleichermaßen experimentell, forschend und lustvoll ist.

Auch wenn ihr von der Form nicht hundertprozentig blogähnlich seid, empfinde ich euch als Blog. Wie seht ihr euch selbst?

An guten Blogs schätze ich, dass die Autoren voll und ganz einstehen für ihre Meinung, sich nicht in journalistische Distanz oder Anonymität zurückziehen. Als Medium, das sich insbesondere durch Meinungsartikel, persönliche Freiheiten und Engagement definiert, sind wir also wirklich kaum unterscheidbar von Blogs. Dass wir formal (d.h. technisch) kein Blogsystem haben, ist sicherlich irrelevant. Wichtig ist uns aber, ganz wie bei redaktionell organisierten Blogs, dass wir uns in der Redaktion überlegen, welche Filme, Regisseure und Themen wir ins Zentrum rücken möchten, und darüber mit unseren Autoren kommunizieren. Allerdings ist das nicht streng hierarchisch zu verstehen. Viele schöne und wichtige Artikel entstehen, weil die Autoren selbst die Idee dazu haben. Last but not least gibt es bei uns einen ausführlichen Redigierprozess, in dessen Zuge wir auch oft zu mehreren über die Erstfassungen gucken und sie diskutieren und mit dem Autor zusammen überarbeiten. Das ist vor allem wichtig bei Einsteigern, aber dazu kommen wir in der nächsten Frage.

Viele von euren Autoren werden anderswo auch für’s Schreiben bezahlt oder haben Filmstudiengänge studiert. Denkst du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu „dürfen“?

Das Schöne ist ja, dass es keine Instanz gibt, die die Lizenz zum Kritiker oder Blogger erteilt. Zum Glück, denn sonst würden uns sicherlich Stimmen fehlen, die etwa Zeitungsredakteuren nicht stromlinienförmig genug wären. Nur: Übung beim Schreiben und Sehen ist wichtig, und das passiert nicht von alleine. Erst in der Kommunikation mit anderen lernen wir es besser zu machen, auch die Filme einzuordnen und zu „lesen“. Weil uns so etwas wie die filmische Perspektive, der Zugriff auf Fiktion und Welt, sowie deren Vermittlung als ganz zentral erscheinen, würde ich durchaus für eine filmische Bildung plädieren. Die muss nicht über Universitäten laufen, aber am obsessiven Sehen, Lesen und Schreiben führt nichts vorbei.

Was ist euer Ziel mit critic.de, und wonach wählt ihr eure Themen aus?

Abgesehen von unseren weiter oben genannten Grundsätzen verfolgen wir sicherlich mehr unterschiedliche Ziele, als Autoren für critic.de schreiben. Zweifelsohne steht im Zentrum die Kommunikation und Übersetzung unserer Leidenschaft, unserer persönlichen Entdeckungen, unserer Thesen und Ansätze ins Schriftliche. In Zeiten wachsenden (kommerziellen) Drucks auf die Kritik, ihre Unabhängigkeit aufzugeben, wollen wir freilich auch ein Gegengewicht darstellen. Im Alltag motiviert unsere Entscheidung für bestimmte Themen allerdings immer das persönliche Interesse. Es muss klar sein, dass wir weder Filme bevorzugen, weil sie kleine Budgets haben, noch große Produktionen für ihr Kapital benachteiligen. Arthaus oder Festivalfilme sind nicht besser als Genrebeiträge. Im Zweifelsfall rücken wir gerne Ränder ins Zentrum, aber die kritische Auseinandersetzung mit Mainstream ist hierzulande ebenso marginal und förderungsbedürftig.

Hast du den Eindruck, dass es darüber hinaus so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben?

Das fällt mir schwer zu beurteilen. Es gibt regen Austausch auf Plattformen wie Facebook zwischen miteinander bekannten (Online) publizierenden Filmnerds, zu denen ich mich auch gerne zähle. Und natürlich gibt es Blogrolls. Aber es fehlen doch ein wenig die Netzwerkeffekte, was möglicherweise mit der grundlegenden Tendenz in Deutschland zusammenhängt, im eigenen Blog oder Magazin nur wenig die Artikel anderer zu zitieren. Neben film-zeit.de fehlt vielleicht auch ein Aggregator, der den Austausch anregen könnte.

Würdest du mir zustimmen, wenn ich behauptete, dass ihr eines der Leitmedien innerhalb der Film-Netz-Sphäre seid? Ein Ort, den zumindest irgendwie alle kennen und wahrnehmen?

Mit meinem Verständnis des Netzes verträgt sich der Begriff des Leitmediums schlecht. Wenn man so will, sind die Leitmedien Google und die Aggregatoren. Als Knotenpunkt würde ich uns allerdings schon gerne sehen. Jedenfalls sind solche Rückmeldungen von Kollegen durchaus ein Ansporn, die Arbeit, die wir uns machen, fortzusetzen und critic.de immer weiterzuentwickeln. Für 2013 haben wir zum Beispiel eine große Blattkritik geplant, wo wir Kollegen und interessierte Filmemacher einladen wollen, mit uns gemeinsam über Schwächen und Stärken von critic.de zu diskutieren und über die Zukunft nachzudenken.

Gibt es in ebendieser Film-Netz-Spähre so etwas wie eine Grenze zwischen Arthaus-Liebhabern und Mainstream-Liebhabern? Falls ja, gibt es Berührungspunkte?

Eine solche Trennung gehorcht lediglich einer Marktlogik, die Filme in Segmente unterteilt und Zielgruppen zuspricht. Mit der Bedeutung von Filmen für den einzelnen Zuschauer hat das wenig zu tun. Eine sinnvollere Grenze ließe sich vielleicht zwischen denjenigen ziehen, die Filme als Konsumwaren verstehen, die mehr oder weniger den Durst stillen oder satt machen, und denjenigen, die versuchen, Filme zu verstehen. Ich glaube zwischen diesen beiden Gruppen gibt es recht wenig Berührungspunkte, nur manchmal eher zufällig durch persönliche Bekanntschaften, und da führt die Kommunikation ohnehin meistens zu Missverständnissen.

Wie regelmäßig und wie wertvoll ist das Feedback, das ihr von euren Lesern bekommt?

Feedback gibt es viel und von unterschiedlichster Seite. Wertvolle Rückmeldungen (die über Lob oder Leid hinausgehen) sind rar, und Diskussionen entstehen zu selten. Die wichtigsten Impulse kommen tatsächlich aus persönlichen Gesprächen mit Lesern, für die wir sehr dankbar sind.

Welche Blogs (über Film und drumherum) liest du selbst? Zu welchem Zweck?

Ich lese viel und nicht alles regelmäßig. Gerne auch auf Englisch oder Französisch. Einen Zweck verfolge ich beim Lesen nicht. Um nur ein paar deutsche Blogs zu nennen: „Eskalierende Träume“, „Filmtagebuch“, „Dirty Laundry“, „Revolver“, „Perlentaucher“, Cargo, „Wayward Cloud“, „Artechock“, „Getidan“. Und doppelt so viele habe ich sicherlich gerade ausgelassen. Beim Lesen orientiere ich mich im Übrigen öfter an einzelnen Autoren als an Publikationsorganen.

Wie würde der Komplex „Schreiben über Film im Netz“ in einer perfekten Welt aussehen?

Perfekte Welten widerstreben mir. Nach der Logik der geringsten Widerstände dürfte ich nicht in Deutschland über Film als Kunstform schreiben wollen. Die unhaltbaren Missstände in der Filmpolitik und der Filmkultur fördern hoffentlich die vereinende Kraft zutage, gegen sie aufzubegehren. Das ist eine Utopie, mit der ich mich identifizieren kann: ein Kampf freilich, aber ein gemeinsamer.

Für mein polemisches Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.

Neben „DigitaleLeinwand“ habe ich noch ein weiteres Blog interviewt, das sich auf ein bestimmtes Teilspektrum der Filmlandschaft spezialisiert hat. „Animationsfilme.ch“ bekommt meiner Ansicht nach perfekt die Balance hin zwischen den auch von anderen Seiten gewöhnten (umfassenden) News und kleinen, redaktionellen Seiteneinwürfen und Entdeckungen, die sozusagen als Sahnehäubchen für maximalen Lesegenuss sorgen.

Übrigens: Das hier ist der Punkt, wo – wer möchte – mir gerne germanisches Hegemoniedenken vorwerfen darf, weil ich die ganze Zeit von „deutscher“ Film-Blogosphäre spreche, obwohl „ANIch“ aus der Schweiz stammt. Ich wollte zu viele Sprachungetüme vermeiden („Film-Blogsphäre“ ist ja auch schon eins) und im Interview erzählen die beiden auch, dass sie es gelegentlich mit ihrer .ch-Endung gar nicht so leicht haben.

Beschreibt ihr kurz in eigenen Worten, was ihr bei „Animationsfilme.ch“ macht, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?

Severin Auer: Animationsfilme.ch ist ein deutschsprachiger Filmblog mit Schwerpunkt Animationsfilme aller Art. Von A wie Anime, über S wie Stop-Motion, bis Z wie Zeichentrick. Egal ob Studenten-Kurzfilm oder grosse Hollywoodproduktion. Was in unseren Radar gerät, uns selber interessiert und mit Animation im weitesten Sinne zu tun hat, greifen wir auf und berichten darüber auf dem Blog. Entsprungen ist Animationsfilme.ch einem anderen Filmblog, der sich aber auf den Realfilm spezialisiert hat. Aus persönlichem Interesse habe ich dort immer wieder Neuigkeiten zu Animationsfilmen untergebracht, nur erschien es mir in der Häufung dann zu unpassend. Was lag also näher, als einen neuen Blog zu eröffnen und sich dort aussschliesslich der animierten Kunst zu widmen. So richtig losgelegt habe ich mit Animationsfilme.ch im Januar 2010 als Ein-Mann-Projekt. Etwa ein Jahr später erhielt ich tatkräftige Unterstützung von Orlindo.

Auch wenn die Frage komisch klingt: Was qualifiziert euch eurer Meinung nach dazu, über Animationsfilme zu bloggen? Habt ihr einen professionellen Hintergrund, der entweder mit Film oder mit Journalismus zu tun hat?

SA: Ich habe an der Universität Medienwissenschaften mit Schwerpunkt Film studiert und mich mit Film in seiner breiten Fächerung wie auch mit Genrefilmen auseinandergesetzt. Während dieser Zeit habe ich auch begonnen Filmrezensionen zu schreiben und erste Schritte in den Filmjournalismus gewagt. Zu einem grossen Teil lässt sich das Wissen zum Realfilm auch auf den Animationsfilm anwenden. Wobei hier ganz besonders auch die Machart ein Schwerpunkt ist, die ich mir in ihren Grundprinzipien aus persönlichem Interesse theoretisch erarbeitet habe. Ansonsten spricht der „Fan“ aus mir, der schon viele Animationsfilme gesehen hat und sich auch weiterhin auf neue Produktionen freut.

Orlindo Frick: Ich habe Animation und visuelle Effekte in Berlin studiert und arbeite in dem Bereich auch freiberuflich. Jedoch war ich bereits vor dem Studium aktiver Schreiberling für Onlinemagazine, u.a. „Outnow.ch“. Nach dem Studium hat sich bei mir herauskristallisiert, dass ich beides benötige. Die praktische als auch theoretische Auseinandersetzung mit dem Medium Animationsfilm. Zumal Schreiben eine Passion von mir ist. Während also einige meiner Kommilitonen ins Ausland gingen um bei Pixar oder namhaften VFX-Studios Praktika zu machen, zog es mich immer weiter in den deutschen Filmjournalismus hinein, wo ich mittlerweile ganz gut Fuß fassen konnte. Ich denke, hier ergänzen wir uns – Severin und ich – ganz gut. Er schaut mir journalistisch auf die Finger und hat einen direkteren Draht zu Frankreich (ohnehin eines der führenden Länder im europäischen Raum was Animation betrifft) während ich Input und Kontakte direkt aus der deutschen und internationalen Branche mitbringe.

Meint ihr, ihr habt einen Vorteil dadurch, dass ihr euer Blog thematisch so genau eingegrenzt habt?

SA: Definitiv ja. Allerdings ist beim „Animationsfilm“ die Eingrenzung wiederum sehr relativ zu verstehen. Im deutschsprachigen Raum gibt es Pixar-Blogs und Anime-Blogs, was nochmals eine deutlichere Eingrenzung wäre. Um ein grösseres, wiederkehrendes Publikum anzuziehen, ist die Spezialisierung in irgendeiner Form aber auf jeden Fall ein Vorteil.

OF: Gerade weil sehr wenige deutschsprachige Internetseiten existieren, die sich mit dem gesamtem Spektrum des Animationsfilms befassen, konnte sich ANIch relativ schnell profilieren. Das habe ich selbst gemerkt, als ich noch vor meiner Mitarbeit bei ANich gezielt nach deutschen Newsseiten zum Thema gesucht habe und keine nennenswerten Alternativen fand. Damals sorgte die Seite bereits für Aufmerksamkeit und ich denke (und hoffe) seit ich im Boot sitze, konnte ANIch seine Position ausbauen.

Wie messt ihr den Erfolg eures Blogs? Seid ihr in deinen Augen mit dem was ihr jetzt erreichen wollt, erfolgreich?

SA: In erster Linie an den Leserzahlen. In zweiter Linie an der Reputation und der Aufmerksamkeit, die man in und ausserhalb der Blogosphäre erhält, unter anderem auch durch Anfragen wie zu diesem Interview hier. Dafür, dass wir den Blog in der Freizeit stemmen, können wir mit dem bisher Erreichten sicherlich zufrieden sein. Dennoch wollen wir weiter wachsen und noch viele neue Leser gewinnen.

Wie regelmäßig und wie wertvoll ist das Feedback, das ihr von euren Lesern bekommt?

SA: Feedback erhalten wir unregelmässig, dafür ist es aber umso wertvoller. Meistens handelt es sich um inhaltliche Zusatzinformationen oder Hinweise zu technischen Aspekten (z.B. Fehler auf der Website). Bei einigen handelt es sich auch um Empfehlungen einzelner Projekte oder bestimmter Veranstaltungen.

Welche Blogs (über Film und drumherum) lest ihr selbst? Zu welchem Zweck?

SA: Ich selbst bin besonders im englischsprachigen Blograum unterwegs, u.a. auch um Neuigkeiten für den eigenen Blog zu finden, das deckt sich dann auch mit der eigenen Neugier, neues über Animationsfilme und Film zu entdecken. Zu regelmässigen Anlaufstellen gehören auch der Animatie.Blog.nl (Niederlande) und filmsanimation.com (Frankreich), die ähnlich aufgestellt sind wie wir, aber einen anderen Sprachenmarkt bedienen. In der Schweizer Film-Blogosphäre bin ich zudem gerne bei Filmsprung.ch, Groarr.ch, Moviecops.ch und Sennhausersfilmblog.ch unterwegs.

OF: Bei mir sind es ebenfalls die üblichen Verdächtigen aus den Staaten („Slashfilm“, „Collider“, „Hollywood Reporter“ etc.). Viele Hinweise für ANich bekomme ich auch direkt von den Leuten, die gerade an Projekten sitzen, aber das sind dann weniger Kino- als Kurz- und Werbefilme. Ich bin auch ein begeisterter Abonnent von Blogs aktiver Animatoren, Illustratoren oder Künstlern. Die dürfen zwar meist nicht über aktuelle Projekte schreiben, aber sind umso spendierfreudiger was ältere Arbeiten betrifft.

Habt ihr den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben? Seid ihr Teil dieser Blogosphäre?

SA: Ja die gibt es. Vielleicht nicht in dem streng vernetzten Ausmass, wie man sich dies in erster Linie vorstellt. Aber man versucht aufeinander zu verweisen, gibt sich auch mal Neuigkeiten durch, die einen anderen Blogger interessieren könnten. Teil der Blogosphäre sind vielleicht eher die Autoren, die wiederum in Kontakt mit anderen Bloggern treten, als der Blog selbst. So können natürlich auch neue Kontakte entstehen.

OF: Hier kann ich Severin nur zustimmen. Im Schweizerraum kenne ich mich weniger aus, aber gerade deutsche Filmblogs pflegen ab einem gewissen Level regelmäßigen Austausch über die sozialen Kanäle (resp. die Autoren der Blogs). So unüberschaubar die Anzahl an deutschsprachigen Filmblogs erscheint, so kann man die seriösen und mit Leidenschaft geführten Blogs (die auch eine gewisse Bekanntheit und Reichweite besitzen) auf einige wenige Dutzend zusammenfassen.

Macht es einen Unterschied, dass ihr zwar deutschsprachig seid, aber aus der Schweiz schreibt?

SA: Auf der Leserseite macht das einen grossen Unterschied. Die Domain-Endung .ch gibt uns zwar einen doppelt exklusiven Status, jedoch fehlt uns der .de Bezug schon irgendwo. Wir befürchten auch, dass einige potenzielle Leser die Seite aus der “kleinen” Schweiz bewusst überspringen und weiter nach einem Äquivalent aus Deutschland suchen. Auch befürchten einige Leser wohl, nicht spezifisch genug zum deutschen Animationsmarkt informiert zu werden, und sei es nur zu Kinostarts – erst wer sich wirklich in die Rubrik klickt, sieht, dass hier auch deutsche Leser bedient werden.

Andereseits sind wir hier in der Schweiz mit unserer Nähe zu Frankreich enorm im Vorteil. Die französischsprachige Schweiz orientiert sich an den Releasedaten von Frankreich, wodurch wir hier in den Genuss einiger Animationsfilme kommen, die nie im deutschen Sprachraum oder erst viel später in die Kinos kommen werden.

OF: Ja, das ist ein wichtiges Thema. Ich werde nicht selten darauf angesprochen, ob und wann wir einen deutschen Ableger von ANIch starten. Sowohl interessierte Leser, Kollegen aus der Branche aber auch deutsche Verleiher äussersten sich zu dem Thema bereits. Letztere wären sofort bereit, gemeinsame Kooperationen zu starten, wenn wir einen Blog unter deutscher Flagge aufbauen würden. Darum liege ich diesbezüglich Severin auch etwas im Nacken. Wir haben Pläne in diese Richtung, aber als ehrenamtliches Zweimannprojekt ist ein Blog bereits viel Arbeit, darum muss ein solcher Schritt mit Bedacht unternommen werden. Die Mehrheit unserer Leser kommt aus Deutschland und wir wissen, dass dieses Punkt-CH am Ende unseres Blogtitels ein nicht unbedeutender Stolperstein darstellt.

Gibt es eurer Ansicht nach im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien? Was wären die?

SA: Nein. Es gibt natürlich beliebte Filmblogs und Aushängeschilder wie die „Fünf Filmfreunde“, über die man gar nicht nicht stolpern kann, wenn man den deutschen Film-Blog-Wald durchforstet, wie auch die grossen Filmportale wie „Moviepilot.de“. Letztere sind jedoch viel zu breit aufgestellt, inhaltlich verwässert und selten mit Charakterköpfen besetzt. Was alle gemein haben, sie orientieren sich wiederum an den englischsprachigen Filmseiten, weil die die Informationen halt zuerst kriegen. Mit dieser Informationsbeschaffung ist auch ein kleiner Filmblog genauso schnell wie die grossen Seiten, wodurch die Begrifflichkeit des Leitmediums an Bedeutung verliert. Und so schöne Seiten wie Schnitt.de verschwinden. In Sachen Neuorientierung kann ich „Negativ“ empfehlen, die sich von der täglichen Berichterstattung der doppelt wiedergekäuten Newswelle jüngst distanzierten.

Wenn ihr an der ganzen Sache mit dem Bloggen, wie es im Moment läuft, etwas ändern könntet, was würdet ihr ändern?

SA: Schreiben und publizieren ist etwas Tolles. Leider fühlt sich mittlerweile wirklich jedermann dazu berufen, in der Blogosphäre mitzumischen. Ob man dann von einer Thematik wirklich eine Ahnung hat, ist meistens sekundär. Leider gehen dadurch einige tolle Seiten in der Masse unter. Schön wäre also mehr Qualität und mehr Individualität. Wenn sich dann auch noch mehr Leser finden, die am Lesen wirklich Spass haben und bereit sind, Zeit zu investieren, macht das den Autor auch sehr glücklich. Das mit der passenden monetären Entschädigung, gemessen am Zeitaufwand, wäre natürlich auch ein Thema.

Was hat euch das Bloggen gebracht? Was wird es euch noch bringen?

Severin Auer: Bloggen ist eine Visitenkarte und kann bei einem neutralen Themen-Schwerpunkt durchaus auch als Referenz dienen. Der Aufbau und die ganze Arbeit am Blog hat mich geschult im ganzen technischen Bereich, in der Organisation und Planung diverser Abläufe, in der Kommunikation und beim Networking – und natürlich im Recherchieren und Schreiben unterschiedlich langer Texte, wie auch bezüglich der Wirkung auf die Leser und auf die Algorithmen von Google – darüber hinaus auch generell in den Gefahren und Chancen des Internets.

Orlindo Frick: Hier greift wieder die Frage nach der Blogosphäre. Blogger kennen sich untereinander. Man liest sich, man tauscht sich aus. So entstehen Kontakte. Ausserdem bleibt man als Blogger nah am Puls des Internets, erfährt Veränderungen direkt. Mit den sozialen Netzwerken von heute ist man nicht mehr „nur“ ein Blogger, sondern setzt sich auch mit anderen Bereichen auseinander. Das beginnt bei PR, SEO, technischen Aspekten eines Blogaufbaus etc. Alles wertvolle Erfahrungen, die man an anderer Stelle wieder einbringen kann.

Für mein polemisches Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.

Gerold Marks‘ Blog hat mich beeindruckt. Nicht nur, weil er sich für die gleichen Themen wie ich interessiert (dieses Blog trägt nicht zufällig den reißerischen Untertitel „über die Zukunft von Film und Medien“), sondern auch, weil er es meiner Ansicht nach prima schafft, auf dem schmalen Grat zwischen professionellem Anspruch und persönlichem Profil entlangzuwandern. „Digitale Leinwand“ dürfte für viele Leser vor allem eine Ressource sein, die Infos über digitale Kinotechnologie suchen. Das Blog ist aber auch eindeutig die Visitenkarte seines Eigentümers.

Entsprechend klar sind auch seine Antworten auf meine Fragen, die mir beileibe nicht in allen Mutmaßungen zustimmen.

Beschreibst Du kurz in eigenen Worten, was für ein Blog du schreibst; warum, wie lange schon, wie es dazu kam?

Ich blogge seit sieben Jahren, auf „DigitaleLeinwand“ schreibe ich seit fast vier Jahren. Inhalt ist der Shift vom analogen zum digitalen Kino im umfassenden Sinn, also die technische Seite der Digitalisierung an sich, stereoskopische 3D Filme (der eigentliche Motor der globalen Digitalisierung), alternative Inhalte wie Live-Übertragungen von Konzerten, Theateraufführungen oder Events, aber auch Filmmarketing von Social Media bis Augmented Reality.

Der Start von DigitaleLeinwand hatte mehrere Gründe: zum Ende meines Studiums wollte ich die 2007 eingeschlagene Richtung Film und Kino intensivieren. Für meine Diplomarbeit war ich auf der Suche nach einem Thema. Ich wollte mich motivieren (oder zwingen) mit einem kleinen Schnipsel täglichen Text die Angst vor dem Weißen Blatt Papier und der Schreibblockade zu überwinden. Die Bedeutung der Digitalisierung war mir bewusst. Allerdings nicht der daraus resultierende Themenschwerpunkt 3D. Die Nachfrage nach relevanten und inhaltlich korrekten Informationen nach 3D-Filmen und den damit verbundenen Techniken, der Rezeption, der Akzeptanz etc. dieses Formats hat mich dann förmlich überrollt. Das Thema hat sich dann sozusagen einen Schreiber gesucht. Seit 2009 bin ich nun eine der wichtigsten Quellen zum Thema 3D-Film.

Denkst Du, man braucht irgendeine Art von professionellem Hintergrund, um sinnvoll über Film bloggen zu „dürfen“? (Du hast ja einen).

Nein. Meine Kenntnis des gesamten Konstrukts Film hat sich durch das Bloggen enorm erweitert und geschärft. Viele Film-Blogs fangen mit persönlichen Kritiken an, werden im Laufe der Zeit umfangreicher, professioneller, finden ihren Platz. Ich vertrete einen klaren Standpunkt: jede Meinung zählt. Professionelle Kritiken im klassischen Feuilleton verlieren in den letzten Jahren extrem an Bedeutung; kein Filmpreis, keine Lobeshymnen von Kritikern können den Erfolg eines Films an der Kinokasse garantieren. Sie können sicherlich einen Film in der Flut der Neustarts sichtbar machen. Aber das kann jeder in seinem sozialen Netzwerk, der sich für etwas interessiert. Und manchmal ist das Word of Mouth eines Freundes relevanter als eine verschwurbelte Diskurs-Reflexion. Das ist Inflation und Freiheit zugleich. Jeder ein Kommunikator, fast jeder ein Kritiker. Was nicht heißt, dass jeder ein Experte ist. In meinen Augen hat Berechtigung, was Leser findet, auch wenn es nicht allen gefällt.

Danke für die professionelle Einstufung. Aber im Ernst: ich habe meine Expertise durch das Bloggen erarbeitet und darüber kamen die Anfragen für die Jobs in Produktionsfirmen, von Verleihern und Festivals, Einladungen zu Vorträgen, Moderationen und Interviews zustande. Sozusagen iteratives Lernen und Arbeiten mit der Visitenkarte im Netz.

Kleine Anekdote: nach der Moderation eines großen 3D-Panels kam eine Besucherin auf mich zu und lobte euphorisch meine Arbeit. Sie fand meine Fragen und Ansätze hervorragend, ich sei bestimmt ein Medienjournalist. Ich bedankte mich und erwiderte, dass ich Blogger bin. Ihr Gesicht entglitt, betont von einem ein kurzen „Ach so“, bevor sie sich abwandte und einfach ging.

Du hast dich in deinem Blog auf einen begrenzten Kreis von Themen beschränkt. Wie kam es zu dieser Entscheidung, was steckt dahinter und wie funktioniert es?

Als One Man-Show ist es gar nicht möglich alle 500 Filme des Jahres zu besprechen. Wir konnten im letzten Jahr die Fokussierung einiger Seiten sehen, die genau daraus handeln mussten, der Versuch alles abzudecken überrollte sie. Außerdem kann man in Deutschland vom Bloggen nicht leben. Es geht also trotz eingeschränkter Nische bereits die gesamte Freizeit in das Blog, da man ja auch noch seine Brötchen verdienen muss.

Zudem war ich der Ansicht, dass wir kein weiteres Filmportal mit der gleichen Durchreiche von Inhalten der US-Filmblogs brauchen. Im Sinne des Long Tail habe ich mir eine Nische gesucht, deren Bedeutung ich annahm und die sich bestätigte. Die hat man mir zwar wiederholt versucht abzujagen, aber ich halte mich hartnäckig.

Natürlich ist es sehr schön, wenn man als relevante Quelle erkannt wird, einige Seiten sind aber auch sehr erfolgreich darin, meine Inhalte umfassend zu kopieren und zu veröffentlichen, natürlich weder zitiert noch verlinkt. Da bedeutet, dass noch mehr Potential in meinem Feld steckt, dass es zu beackern gälte, allerdings limitieren meine verfügbaren Ressourcen. Der Tag hat ja nur 28 Stunden …
Früher hatte ich noch den Anspruch auf Vollständigkeit für alle 3D-Filme, da konnte man jeden Schnipsel veröffentlichen, es kam ja nur alle sechs Wochen ein neuer 3D-Film in die Kinos. Bei den aktuell 45 3D-Filmen im Jahr ist es schwieriger, da kommt man kaum hinterher. Zudem hat sich die Nische 3D-Film auch zum normalen Filmfeld entwickelt.

Dein Blog wirkt auf mich so, als wäre es einerseits von privaten Interessen getrieben, als würdest du dich aber bemühen, diese so zu präsentieren, dass der Service-Charakter gegenüber der privaten Meinung überwiegt. Stimmt das und warum hast du dich dafür entschieden?

Deine Wahrnehmung liegt in meiner ganzen bisherigen Arbeit begründet. Ich habe immer benutzerorientiert gearbeitet. In meinem Studium standen sich wissenschaftliche Analyse und kreative Schöpfung gegenüber. Ich wollte auf „DigitaleLeinwand“ kein weiteres Filmkritik-Portal hochziehen, sondern über ein Themenfeld informieren. Die Nachfrage war da, weil man das Thema in den klassischen Medien als Spielerei und temporären Hype abtat.

Und auch heute gibt es viel an Aufklärung zu leisten, wie zuletzt das Thema High Frame Rate bewies. Der erste Teil der Hobbit-Verfilmung ist mit einer doppelten Bildfrequenz von 48 Bildern in den Kinos zu sehen- erstmals in der Filmgeschichte. Doch weder der Verleih noch die betreuende Agentur klärten darüber auf, Kinobetreiber waren verunsichert. Das Publikum lechzte nach Informationen. Ich habe mich dem Thema angenommen, Informationen mühsam aggregiert, Kinobetreibern und –Marketingleitern Kooperation signalisiert. Schließlich schrieb mich wohl so ziemlich jeder Kinobetreiber persönlich an. Das Thema war so erfolgreich, dass die Benutzerzahlen explodierten, was sonst im Monat rumkommt, tummelte sich nun an einem Tag auf „DigitaleLeinwand“. Das habe ich vor allem der Verlinkung von großen Seiten wie Heise oder t3n zu verdanken, die innerhalb ihrer Berichterstattung auf meine aktuell gepflegte HFR-Kinoliste verlinkten. Vielleicht liegt es auch an meiner Leserschaft, die nicht nur den Kinogänger im Auge hat, bei mir lesen auch Produzenten, Stereographen oder Verleiher mit.

Du arbeitest mit Sponsored Posts, willst Du dazu was sagen?

Klar. Ich werbe durchgehend auf meinem Blog. Für Filme. Ich schreibe über gelungene Aktionen des Filmmarketings. Ich habe einen werbelastigen Studiengang belegt. Werbung ist für mich absolut kein Problem.

Der Einsatz von Werbung auf „DigitaleLeinwand“ hat zwei Gründe: zum einen wollte ich selbst erfahren, ob es möglich ist, mit einem Blog genug Geld zum Leben zu verdienen. Das ist in Deutschland aufgrund der weiter vorherrschenden Geringschätzung von Blogs nur in Ausnahmefällen möglich. Die Einnahmen aus der Blogwerbung, also Bannern, Videos oder Sponsored Posts decken die Kosten für Domain, Server, Traffic, kostenpflichtige Tools und Software und den anfallenden Portokosten für das Verschicken von Gewinnspiel-Preisen etc. Dann reicht es noch im Monat für ein Eis mit der Familie. Überschüsse reinvestiere ich in Erweiterungen und Aktualisierungen. Und wenn dann noch was übrig bleibt, verlose ich unter meinen Lesern zum Bloggeburtstag noch ein paar schöne Dinge.

Zum anderen interessieren mich die Mechanismen der Werbetreibenden auch für meine eigene Arbeit. Wer schaltet wie und wo, wie reagieren die Leser darauf, wie ist die Resonanz. Daraus leite ich Maßnahmen für künftige Aktionen bei einem Auftrag ab.

Viele Verleiher haben verstanden, dass Linkbuilding heutzutage sehr wichtig ist, um in den Suchmaschinen bei Anfragen auch relevant angezeigt zu werden. Wer meine Arbeit mit Material, Informationen und Interviews unterstützt, darf auch mal darum bitten, den Link zur offiziellen Filmwebseite in den Artikel einzubetten. Das ist ein Geben und Nehmen.

Derzeit experimentieren viele Verleiher mit unterschiedlichen Werbeformen innerhalb von Social Networks und Blogs. Da ergeben sich mitunter absurde Zwickmühlen: ein Rezensionsexemplar einer Blu-ray 3D möchte man mir aus Kostengründen nicht zusenden. Dafür schaltet man über eine Agentur auch auf meinem Blog Werbebanner, die den Verleiher letztlich ein Vielfaches der besagten Blu-ray 3D kosten. Zur Kennzeichnung: manche Portale fordern ein „Sponsored Post“ im Titel des Beitrags, was doch sehr abschreckend sein kann. Werbebeiträge sind bei mir aber immer mindestens mit dem Tag Werbung gekennzeichnet.

Wie misst du für dich den Erfolg deines Blogs. Ist dein Blog erfolgreich?

Quantifizierbar: Was habe ich 2009 gejubelt, als 100 Leute am Tag die Seite besucht haben. Danach galt es die Marke der 1.000 Personen am Tag zu knacken, dann galt man schließlich als A-Blogger. Heute erreiche ich im Monat 135.000 Besucher. Wie sage ich immer: für einen deutschen Blog ist das ganz ordentlich, aber ich bin nicht „Spiegel Online“ (will ich auch gar nicht sein).

Den in der Presse häufig beschworene Tod der Blogs kann ich nicht bestätigen, bei mir steht alles weiter auf Wachstum. Viel wichtiger ist der Erfolg auf anderen Ebenen: ich darf Interviews mit tollen Persönlichkeiten führen, an die ich sonst nie rangekommen wäre. Ich habe ein spannendes Netzwerk von Film- und Kinofans aufgebaut, das weiter wächst. Man schätzt meine Meinung und meinen Rat, sowohl von Lesern als auch von Kollegen und Experten. Man tauscht sich untereinander aus, wird verlinkt, interviewt, zu Podcasts als Gast eingeladen.

Bei einigen Verleihern muss ich allerdings bis heute betteln, zu Pressevorführungen eingeladen zu werden. Aber ich renne nicht mehr hinterher, wer seine Filme nicht kommuniziert haben will, sollte auch nicht gezwungen werden.

Bekommst Du regelmäßig Feedback auf das, was Du schreibst? Bist Du im Dialog mit Deinen Lesern?

Es lesen sehr viele Menschen mehr aktiv mit, als diejenigen, die sich öffentlich äußern. Feedback erhalte ich auf den unterschiedlichsten Kanälen, die sich immer wieder verlagern. Die Kommentare direkt im Blog werden weniger, dafür innerhalb van Facebook, Google+ und Twitter mehr. Ich bekomme viele E-Mails mit Fragen oder Hinweisen, ab und an gar mal einen Brief.

Immer wenn man zweifelt, wofür oder für wen man das eigentlich macht, spricht mich jemand auf einen Artikel von vor zwei Monaten an, der noch nachwirkt, wo sich was verändert hat. Das ist großartig.
Sehr viele Anfragen stellen Studierende für Diplom/Bacherlor/Master-Arbeiten rund um die Themen 3D, Kino und Digitalisierung. Mitunter wollen sie mich für Interviews als Primärquelle, mitunter als Tippgeber für Kontakte, Links und Material. Das ist sozusagen mein kleiner Bildungsauftrag. Da helfe ich gerne aus, was mitunter sehr zeitintensiv ist. Dafür wird man manchmal mit einer guten Arbeit belohnt, die man auch tatsächlich zu Lesen bekommt (leider keine Selbstverständlichkeit).

Welche Blogs liest Du selbst? Zu welchem Zweck?

Wenn es die Zeit erlaubte, würde ich gerne viel mehr lesen, es gibt ja auch im deutschen Bereich immer wieder neue Entdeckungen! Täglich auf dem Leseprogramm stehen die US-amerikanischen Filmblogs wie „/Film“, Collider oder BleedingCool, die auch unsere Filmnachrichten bestimmen. Du kannst ja mal nebeneinander halten, was in der Nacht auf /Film veröffentlicht wurde, und am nächsten Tag auf den Filmportalen wie „Moviepilot“ oder „Filmstarts“ und vielen Filmblogs erscheint (ich nehme mich da gar nicht aus). Eigentlich eine Duplikation, die nicht erforderlich wäre. Aber man will dem eigenen Leser ja auch aktuelle Informationen bieten und nicht darauf warten, bis die deutsche Agentur das Thema Wochen später als Meldung bringt. Dann ist es nämlich meist keine mehr.

Im deutschen Feld lese ich regelmäßig die Blogs von Freunden (siehe Blogroll auf meiner Seite) und von für mich interessanten verwandten Nischen, z.B. den „Pixarblog“ oder „Animationsfilme.ch“. Natürlich schaue ich auch mal bei den „Fünf Filmfreunden“ oder den ButtKicking Babes vorbei, oder bei „Negativ“, die sich durch ihre neu geschärfte Ausrichtung deutlich vom Mainstream abheben.

Dazu noch etliche Blogs aus anderen Themenfeldern wie Technik, Marketing, Transmedia, Kunst, etc.
Zum einen interessieren mich die Nachrichten inhaltlich. Manchmal sind sie auch für mein Blog relevant. Ich will wissen, was meine Freunde aktuell machen, was sie schreiben, sie umtreibt. Natürlich ist man auch immer auf der Suche nach Inspirationen für formale Strukturen, Features oder Erweiterungen des eigenen Blogs, aber das passiert eher beiläufig.

Hast du den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst Du sie beschreiben?

Die deutschsprachige Filmblogosphäre gibt es, sie ist nur nicht so prominent wie die große amerikanische Schwester. Anscheinend fängt man zunächst als Einzelkämpfer mit seiner Idee an und strampelt in alle Richtungen. Irgendwann verknüpft man sich dann mit den anderen verrückten Filmbloggern.

Wir sprechen ja alle miteinander auf Pressevorführungen oder Festivals, sind in den Social Networks verknüpft, diskutieren in den Barcamps neue Trends. Da entwickeln sich neue Freundschaften, fachlich wie privat. Ich tausche mit diversen Blog-Kollegen Hinweise und Links aus, wenn wir über relevante Dinge stolpern.

Auch technisch ist man gerne bereit, die eigenen Ansätze und Tools zu offenbaren. Hilf ihnen, es selbst zu tun. Geht auch manchmal nach hinten los, z.B. wenn man nach einem eingesetzten PlugIn gefragt wird, das dann letztlich dazu dient auch noch meine Inhalte zu klonen. Nur das gegenseitige intensive Verlinken zueinander hapert in der deutschen Blogosphäre noch ein wenig.

Ist es ein Unterschied, ob man über Arthaus oder Mainstream bloggt?

Die Pole von Arthaus und Mainstream mögen klar sein, aber wo befindet sich die Grenze? Dieser Krieg zwischen E und U ist in meinen Augen unsinnig. Auch die Filmkunst hat ihre filmischen Wurzeln in einer Jahrmarkts-Attraktion; das eine würde ohne das andere nicht existieren. Ich schreibe auf DigitaleLeinwand gerne über Arthaus-3D, davon gibt es nur so wenig. Aber Filme wie Pina, Schiffbruch mit Tiger oder Cave of forgotten Dreams werden dann gerne auch prominenter gefeaturt, um ihnen eine Stimme zu geben.

So wie sich weniger Menschen an der Kinokasse für Programmkino interessieren, ist es auch beim Bloggen, die Artikel werden sicher geringer nachgefragt. Dafür haben die Blogs für das anspruchsvolle Publikum eine gut ausgeprägte Nische mit beständiger Leserschaft. Es ist auch für mich frustrierend, wenn ein lange erarbeiteter Artikel mit viel Rechercheleistung nur ein paar hundert Leser interessiert, das Publikum auf das neue Bild vom nächsten Star Trek-Film aber abfliegt wie Wespen auf Butterkuchen. Kino und Film ist für viele einfach nur Unterhaltung, und eben nur für manche Religion. Aber das ist letztlich auch ganz gut so.

Gibt es im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien? Was wären die?

Das kann ich nur subjektiv beantworten. Es gibt natürlich die großen bezahlpflichtigen Branchendienste, die zumeist aber auch nur Pressemitteilungen durchjagen und davon profitieren, gut bestückt zu werden. Die drei großen Filmportale streiten mit sehr ähnlichen Inhalten um die Marktführerschaft, wobei sich „Kino.de“ immer mehr abseits stellt, „Filmstarts“ schnell umfassend produziert und „Moviepilot“ aktuell die größere Community hat. Da scheint es noch Luft zu geben, wie der Erfolg der aufstrebenden „Filmjunkies“ belegt. Die waren für mich wichtig, als ich mit dem Bloggen begann, heute weiß ich selber, wo die News entstehen.
„Kino-Zeit.de“ ist für mich ein echtes Leitmedium, weil sie sich intensiv um den sehenswerten Film kümmern. Dabei behalten sie aber eine positive Grundstimmung auch innerhalb ihrer Filmkritiken bei, was ich sehr schätze.

Apropos: Nichts ist einfacher als das Zerreißen eines Films, vielleicht auch der Grund, warum viele als „Filmkritiker“ mit einem Blog starten. Wenn dann ein Film nur noch als Sparringspartner für die Zurschaustellung des Intellekts und der Kenntnis des Kritikers dient, läuft da was verkehrt. Auch ist eine verschwurbelte Ausdrucksweise kein Gütezeichen für Qualität, wir kennen das aus der wissenschaftlichen Forschung, deutsche Wissenschaftstexte sind oft verklausuliert, damit sie nur Ebenbürtige lesen können oder ein schwacher Inhalt kaschiert wird. US-amerikanische Wissenschaftler reden öfter sehr deutlichen Klartext, obwohl die Inhalte komplex und umfassend sind. Möglicherweise ein interkultureller Unterschied, in Interviews erlebe ich deutsche C-Promis auch als deutlich affektierter als amerikanische Oscar-Preisträger.

Ein Leitmedium sollte eigentlich auch „Programmkino.de“ sein, die sich aber zu sehr in ihrer Abgrenzung zwischen bösen U- und gutem E-Kino verlieren. Ein ungehobener Schatz ist das Wissensportal der deutschen Filmakademie „Vierundzwanzig.de“, das Insights direkt aus der Welt der Filmeschaffenden bietet. Aber eben keinen Promi-Klatsch.

Wenn Du an der ganzen Sache mit dem Bloggen, wie es momentan läuft, etwas andern könntest, was würdest Du ändern?

Oh, das wäre eine lange Agenda. An einigen Punkten arbeite ich, an anderen gebe ich aktuell als resigniert bis gescheitert auf:

  • Ich hätte gerne mehr Zeit zum Bloggen, um mich intensiver mit Themen beschäftigen zu können.
  • Ich würde gerne effizienter Bloggen durch bessere Systeme und Workflows.
  • Ich würde gerne weniger Werbung schalten, dafür besser bezahlte.
  • Ich wünsche mir eine bessere Vernetzung der Blogger untereinander, vielleicht auch eine Blogger Aid wie „tausche Unterstützung bei Grafik gegen Hilfe beim Code“.
  • Eine bessere Zusammenarbeit zwischen PR-Agenturen und Blogs ist erforderlich.
  • Mehr Kenntnis von Online-Methoden in den klassischen PR-Agenturen. (Übrigens: wenn Social Media unsinnig ist, warum untersagt ihr neuerdings Äußerungen auf Twitter, Facebook und Co. nach den Pressevorführungen?)
  • Verleiher sollten bessere Informations- und Serviceangebote zur Verfügung stellen (manche Presseserver sind im Handling eine Katastrophe!).
  • Is it just me, oder landen meine Mails immer in der Rundablage? Ich wünsche mir kompetente Ansprechpartner bei Verleih oder PR-Agentur, die Fragen auch verlässlich beantworten.
    Und wenn wir schon dabei sind, gehört die Benachteiligung von Onlinern und Bloggern gegenüber den klassischen Kanälen abgeschafft (Bildmotive oder Clips ausschließlich für Print oder TV, Pressevorführungen in OV nicht für Onliner, Stehplätze am letzten Rand vom Teppich etc.)
  • Liebe Veranstalter, wenn ihr mich aufgrund meiner Kompetenz als Blogger einladet, müsst ihr aus mir keinen „Chefredakteur“, „Herausgeber“ oder „Medienjournalisten“ euphemisieren. Ich steh dazu.
    Ich wünsche mir mehr Respekt zwischen Journalisten und Bloggern (schreibt ein Blogger ab, ist es Plagiat, schreibt ein Journalist ab, ist es Recherche. Von dem wöchentlichen Blogger-Dissen auf den Online Zeitungsportalen mal ganz abgesehen.)

    Und zuletzt wünsche ich mir eine Honorierung durch den Leser mit einem größeren Bewusstsein für den Aufwand. Mein Blog ist kostenfrei und soll es auch bleiben. Aber ein Kommentar zum Beitrag, ein Klick auf einen Banner, ein Teilen in den Networks hilft, DigitaleLeinwand auch zukünftig zu erhalten.

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