Film Blog Group Hug: Die Filme des Sommers
14. September 2013
Ich habe die deutsche Filmblogosphäre beschimpft, jetzt will ich sie vereinen. Seit meinem ursprünglichen Artikel hatte ich das große Glück, mit vielen Internetfilmschreibern näher in Kontakt zu treten und seitdem haben sich auch einige meiner Ansichten sogar ein bisschen geändert (mehr dazu vielleicht bald hier). Nicht geändert hat sich mein Anliegen, die Vernetzung zwischen den Filmbloggern nach außen sichtbar zu gestalten. Daher habe ich den Film Blog Group Hug ins Leben gerufen, bei dem ich Filmbloggern eine Frage schicke und ihre Antworten dann gesammelt hier veröffentliche. Das Konzept habe ich schamlos geklaut vom Criticwire Survey.
Für Group Hug Numero eins habe ich zunächst jene Leute angemailt, mit denen ich im Laufe des letzten Dreivierteljahres Kontakt hatte, und die Frage relativ simpel und mainstreamig gehalten. Ich bedanke mich an dieser Stelle schon einmal für das positive Feedback und die vielen tollen Rückmeldungen. Wie es mit dem Konzept weitergehen könnte, steht am Ende des Posts.
Die erste Film-Blog-Group-Hug-Frage lautete:
Welcher Film hat euch diesen Blockbuster-Sommer am nachdrücklichsten beeindruckt, egal ob positiv oder negativ, und warum?
Der beste Blockbuster diesen Sommer war für mich ganz klar Pacific Rim. Guillermo del Toro lebt seine Kindheit aus und man könnte meinen, wir hätten beide die gleiche gehabt. Riesige Kaijus, aus den Godzilla-Filmen entlehnt, gegen riesige Mechas, aus dem Anime entlehnt. Da geht jedem Fan dieser beiden Genres das Herz auf. Aber del Toro versteht es außerdem eine sehr detailreiche und dichte Atmosphäre zu schaffen, die den Zuschauer durch den Film trägt. Ich hab schon wieder Lust darauf.
– Patrick Thülig, Kontroversum
(Pacific Rim in den Kontroversum Shorts)
Aus familiären Gründen ist es mir in diesem Jahr erst ein einziges Mal gelungen, einen sogenannten Blockbuster zu schauen, und das war Star Trek Into Darkness. Ich habe es nicht unbedingt bereut, aber mir war das alles etwas zu viel und den guten, alten „Star Trek“-Geist habe ich auch vermisst. Aber trotzdem habe ich mich recht gut unterhalten gefühlt. Andere „Blockbuster“ habe ich nicht gesehen, aber ich muss auch sagen, dass ich jetzt nicht das Gefühl habe, etwas verpasst zu haben. Außer Pacific Rim, den ich wegen Del Toro gerne gesehen hätte. Ansonsten habe ich mich gefreut, dass ich immerhin Only God Forgives im Kino sehen konnte, den ich sehr mochte, auch wenn ich die kontroversen Meinungen gut verstehen kann.
– Marco Koch, Filmforum Bremen
In einer Saison der vergurkten Blockbuster (ich sage nur Man of Steel) war World War Z die positive Überraschung. Ein Zombiefilm, der auf Realismus setzt. Es sind die Details, die mich begeistert haben: Der UN-Ermittler Gerry Lane ist einer, der die Nerven behält, an Wasser und Medikamente denkt – keine Kampfmaschine, kein überlebensgroßer Held. Die Mischung von zurückhaltendem Spiel und schierem Charisma, mit der Brad Pitt diese Rolle spielt … Hut ab. Dazu Hochspannung über fast den ganzen Film.
– Thomas Laufersweiler, SchönerDenken
(World War Z bei „Schöner Denken“)
Für mich gab es in diesem Blockbuster-Sommer gleich ein paar Überraschungen. Die größte aber war mit Sicherheit Roland Emmerichs White House Down. Diesmal legt der Mann aus Sindelfingen zwar nur das Weiße Haus in Schutt und Asche, nimmt damit aber gekonnt das Herz der Vereinigten Staaten ins Visier. Das Ergebnis: sein bester Film überhaupt. White House Down ist spannend, explosiv, komisch – und hat eine gehörigen Portion Chuzpe.
– Björn Helbig, Yzordderrexxiii
(Björns Kritik bei „kino-zeit.de“)
Die (amerikanische) Sommersaison 2013 war vor allem ein hysterisches Debakel, und nur ein Film, bezeichnenderweise nicht aus der Mega-Tentpole-Ecke, konnte mich wirklich begeistern: The Conjuring – ein „haunted house“-Horrorfilm von James Wan, der zwar kaum etwas Neues erzählt, doch dafür eine inszenatorische Reife und Eleganz an den Tag legt, die absolute Kontrolle über den Stoff und das Genre beweist. Zwei klatschende Hände…und alle kleben an der Decke. Einfach meisterhaft!
– Martin Beck, Reihe Sieben
(Martins Kritik zu The Conjuring)
Definitiv World War Z. Nachdem eigentlich alle US-Kritiker bereits im Vorfeld die Produktion für (un)tot erklärt hatten und auch hierzulande die üblichen Verdächtigen voller Wonne Verrisse schrieben, war ich vom Ergebnis angenehm überrascht. Der Film ist 1-A-Spannungskino und trotz fehlendem Gore-Faktor furchteinflößend. Und manchmal braucht Regisseur Marc Foster nicht einmal Zombies, um eine Atmosphäre der Angst zu schaffen, sondern nur einen Supermarkt in New Jersey.
– Denis Krick, Ex-Couchmonster
Ich bin Blockbuster-müde, in diesem Jahr mehr als je zuvor. Das liegt nicht zuletzt an 3D, das für mich kein Bonus, sondern ein teures Ärgernis ist. Gesehen habe ich nur Iron Man 3 und Star Trek Into Darkness. Beide haben mich, als ich im Kino saß, wirklich gut unterhalten, aber einen nachhaltigen Eindruck hat keiner hinterlassen. Jetzt hole ich noch Elysium nach und dann ist mein Blockbuster-Sommer schon vorbei. Möge es ein langer Filmwinter werden.
– Thomas, Abspannsitzenbleiber
Nach intensivem Studium meiner Filmliste habe ich festgestellt, dass ich in diesem Jahr erst einen Blockbuster gesehen habe: The Great Gatsby. Bei diesem Film hat mich am meisten beeindruckt, dass Leonardo DiCaprio und Carey Mulligan allen meinen Befürchtungen zum Trotz überzeugend als Jay Gatsby und Daisy waren. Und so schön sind Hemden noch nie in einem Film geflogen.
– Sonja Hartl, Zeilenkino
(Sonjas Anmerkungen zu The Great Gatsby)
Die meisten Blockbuster habe ich eh noch nicht sehen können – aber richtig weggeweht haben mich nur zwei kleinere Filme, beides zu meiner Überraschung Kinderfilme (von denen ich seit Anfang des Jahres viele sehe): Tom und Hacke, ein wunderbarer Kinderkrimi aus der bayerischen Nachkriegsprovinz, richtig, richtig gutes Genrekino für Zwerge: spannend, düster, realistisch und komplett in Mundart. Außerdem, anders genauso gut, der französische Animationsfilm Ernest et Célestine. Ein bezauberndes Stück Kinopoesie, märchenhaft und politisch zugleich, in einer komplexen, bizarren Welt beheimatet.
– Rochus Wolff, Kinderfilmblog
Der Blockbuster, der mich diesen Sommer am meisten begeisterte, ist Gore Verbinskis Lone Ranger. Entgegen der Meinung der US-Kritiker ist dieser Western eine smarte und energiegeladene Abrechnung mit dem gesamten Genre.
– Sidney Schering, Sir Donnerbolds Bagatellen
(Sidneys Kritik zu The Lone Ranger)
Nicht unbedingt nur aus dem Grund, dass ich es kaum ins Kino schaffe und die meisten Blockbuster noch gar nicht habe sichten können, hat mich Star Trek Into Darkness von vorn bis hinten und somit am meisten begeistert, weil das Darsteller-Ensemble sowie die temporeiche und epische Inszenierung nebst beeindruckenden Schauwerten mich wohlwollend über die vielen dramaturgischen Mängel haben hinwegsehen lassen.
– Wulf Bengsch, Medienjournal
(Wulfs Kritik zu Star Trek Into Darkness)
Mein Film des Sommers ist ganz klar Pacifc Rim. Guillermo Del Toro’s Hommage an die japanischen Kaiju-Filme ist ein richtig unterhaltsames Actionspektakel. Kein anderen Blockbuster hat den oft schwierigen Spagat zwischen Action und Figurenentwicklung, inklusive einer wirklich bemerkenswerten Frauenrolle, so gut hinbekommen. Auch die liebevolle und farbenfrohe Gestaltung hat mich überzeugt. Großartig.
– Doreen Butze, waxmuth
(Doreens Kritik zu Pacific Rim bei „Kino – German Film“)
The Lone Ranger ist nicht mein liebster Film des Sommers. Inmitten der eintönigen Zerstörungsplörre vieler Konkurrenten ließ sich Gore Verbinskis in den Stummfilm verliebter Western trotzdem, einem Widerhaken gleich, nicht abschütteln. Gerade weil sein Ringen um die Vereinigung des Blockbusters mit dem Genre des Klassischen Hollywood-Kinos zum Scheitern verurteilt ist, bleibt das Millionengrab tausendmal spannender als die konventionellen Superheldenfilme der Saison.
– Jenny Jecke, The Gaffer
(Jennys Anmerkungen zum aktuellen Western bei „Moviepilot“)
Meine Wahl fällt auf Monsters University. Es ist nicht mein Favorit aller Blockbuster, aber er hat für mich persönlich eine spezielle Bedeutung. Ich habe mich intensiv mit diesem Film auseinandergesetzt und ihn mit jeder Sichtung mehr lieben gelernt. Die Details und Nuancen entdeckt. Und geschätzt. Die Message des Films, dass einem das Leben manchmal schlechte Karten gibt und dass das aber kein Weltuntergang ist, hat mich aufgrund ähnlicher persönlicher Erfahrungen ebenfalls berührt. Insofern schwingt auch sehr, sehr viel Subjektivität mit, aber on second thought – bei welcher Filmbewertung ist das nicht so?
– Owley, Owley.ch
Kick-Ass 2 war der einzige „Blockbuster“, der mich diesen Sommer ins Kino gezogen hat. Wegen mangelnder Nachfrage im kleinen Saal. Die alternative Story des ersten Teils wurde gewohnt comicnah weiter gesponnen. Hätte man sich ganz an Mark Millars Geschichte gehalten, wäre der Film nicht unbeschadet in die deutschen Kinos gekommen. Zum Glück ist Gewalt weniger die Triebfeder von Kick-Ass 2, als die Vorstellung vom John Doe, der sein Ego im Mummenschanz offenbart. Mit einem ganzen Schurkenkader, der sich einer Bürgerwehr aus überzeugten Helden stellt, wird die ursprüngliche Idee auf die Spitze getrieben.
– Intergalactic Ape-Man, Intergalaktische Filmreisen
Mein Highlight des Blockbuster-Sommers 2013 ist ohne Frage Man of Steel. Superman fasziniert mich seit ich denken kann. Man of Steel hat mich jedoch enttäuscht. Die hektische Kameraarbeit, das sprunghafte und emotionsleere Drehbuch sowie die Zerstörungsorgie im dritten Akt ließen mich fassungslos im Sessel zurück. Trotz der starken Performance von Henry Cavill, dem Soundtrack und vielen cleveren Details muss ich weiterhin auf den „Dark Knight“-Moment für meinen Lieblingshelden warten.
– Christian Steiner, Second Unit
(Second Unit Superman Special)
Ehrlich gesagt habe ich erst vergangene Woche mit Jurassic Park 3D die wahre Blockbuster-Sensation des Sommers mit den Augen eines Zehnjährigen bewundern dürfen. Nichtsdestotrotz gab es 2013 ein weiteres Werk gigantischen Ausmaßes, dessen bewegte Bilder Ähnliches vollbracht haben: Pacific Rim. Wenn Guillermo del Toro im audiovisuellen Rausch Kaijus und Jaeger in den nächtlichen Straßen von Tokio kollidieren lässt, öffnet sich auf der großen Leinwand das Tor in eine fantastische Welt voller überwältigender Farbexplosionen und grenzenloser Abenteuerlust, die mich jedes Mal staunend wie ein Kind zurückgelassen haben.
– Matthias, Das Film Feuilleton
(Matthias‘ Kritik zu Pacific Rim)
Dass der Film nach all meinen Befürchtungen und Vorbehalten, die ich als riesiger Fan des Buches frequentiert verbalisierte, nicht nur in sich selbst geglückt ist, sondern dass er stattdessen auch im Vergleich zu vielen anderen großen Blockbustern im dritten Akt nicht versuchte sich zu übertreffen, sondern gekonnt seine Mythologie vertiefte, macht World War Z zu meinem Sommerhit des Jahres. Dank dem großartigen Erfolg des Films kann man nun auch auf Sequels hoffen, die das Buch umsetzen.
– Sascha, PewPewPew
Am meisten bewegt hat mich Paolo Sorrentinos La grande bellezza – Die große Schönheit, weil er in wahrlich meisterlicher Manier den Stillstand, die Oberflächlichkeit und die Melancholie eines Lebens (UNSERES Lebens) in einen Rausch aus Bildern und Musik gießt, wie man das heute kaum mehr zu sehen bekommt.
– Joachim Kurz, kino-zeit.de
(Joachims Kritik zu La grande bellezza)
War das interessant? Wie oft sollte man das machen? Schreibst du auch über Film in Netz und möchtest beim nächsten Mal dabei sein? Hast du einen guten Vorschlag für die nächste Frage? Feedback am besten hier in die Kommentare. Anmeldungen und Vorschläge per Mail an grouphug@realvirtuality.info
Star Trek Into Darkness ist eine faszinierende Studie des Butterfly Effect (und deswegen besser als ihr denkt)
24. Mai 2013
Ayayay – der Backlash. Nachdem J. J. Abrams, Damon Lindelof und ihre Schergen sich im Vornherein soviel Mühe gemacht haben, ein Mysterium aufzubauen, und im Film selbst jede Menge Fanservice untergebracht haben, ist das Votum der Fans nun eingetroffen, und es ist nicht sonderlich positiv. Der geheime Bösewicht ergibt keinen Sinn, der Film steckt voller Retro-Sexismus, die Todesszene trägt kein dramatisches Gewicht.
Mit entwaffnender Direktheit hat Jenny Jecke das ganze im ersten „Wollmilchcast“ formuliert (ich fasse zusammen): Star Trek Into Darkness schwingt sich von Maguffin zu Maguffin, um rasante Actionszenen zu präsentieren, denkt dabei aber nichts zuende, nimmt sich keine Zeit und nimmt allgemein das, was das „Star Trek“-Universum ausgemacht hat, zu keinem Zeitpunkt ernst. J. J. Abrams ist halt bei Star Wars irgendwie doch besser aufgehoben wahrscheinlich.
Zwei atemlose Stunden
Ich habe keinerlei emotionale Vor-Bindung zu „Star Trek“, obwohl ich alle Filme gesehen habe. Deswegen haben mich all die Dinge, die einem „Star Trek“-Seher der alten Schule so sauer aufstoßen, überhaupt nicht gestört. Ich hatte einfach zwei atemlose Stunden im Kino, in denen der Film alle zehn Minuten eine neue Kurve nahm und ich eine überdurchschnittliche Menge Adrenalin und Serotonin ausschüttete. Und weil der Film so heiter-respektlos ist, dachte ich keine Sekunde lang an Plotholes oder an die fehlende ernsthafte SF-Meditationen. (Das im Gegensatz zu Filmen, die einem an jeder Straßenecke ihre eigene Bedeutsamkeit unter die Nase reiben und dann keinen Sinn ergeben. *hust* The Dark Knight Rises *hust*)
Warum aber könnten sogar selbsterklärte Semi-Trekker Star Trek Into Darkness faszinierend finden? Die Antwort verbirgt sich hinter einer Bemerkung von Damon Lindelof in Germain Lussiers interessantem Artikel über die absurden Schritte, die das Team unternommen hat, um Cumberbatchens Identität geheim zu halten:
„The story most people are engaged in and know is Wrath of Khan, but a lot of people don’t know about ‚Space Seed‘, which was the origin story for that character and that happens to be the time and space in which our movie was taking place,” Lindelof said.
Denn man darf ja nicht vergessen, dass J. J. Abrams‘ „Star Trek“ ja mehr ist als nur ein Reboot, das heißt eine von außen aufgedrückte Neu-Interpretation einer Intellectual Property. Es ist, dank der brillant cleveren Idee des ersten Films, ein Fortschreiben des Original-Roddenberry-Treks in einem anderen Universum. Star Trek und Star Trek Into Darkness spielen eben nicht im exakt gleichen Koordinatensystem wie die „Original Series“, „The Next Generation“ und die zehn ersten Kinofilme – obwohl sie mit ihnen in einem Kontinuum stehen.
Look, Mom, Magic!
Das heißt erstmal: Im Abrams/Lindelof/Kurtzman/Orci-Trekversum dürfen Sachen anders funktionieren als im Roddenberry-Trekversum (Stichwort Transwarp). Wenn sie wollten, könnten die Filmemacher jede Anomalie mit einem Handwave erklären. „Look, Mom, Magic!“ Wenn sie klug sind, reizen sie das natürlich nicht allzuweit aus.
Viel interessanter ist aber die Tatsache, dass Star Trek Into Darkness und alle Folgefilme, basierend auf Lindelofs Zitat, zu einer spannenden Studie des Schmetterlingseffekts werden. Die Ereignisse der Filme bewegen sich zeitlich parallel zu den Folgen der Original Series, aber die Voraussetzungen sind andere. Aufgrund der Einmischung von Spock und Nero via Wurmloch in die Geschichte der Enterprise-Crew in Star Trek, ist der Abrams-Worldtrack ein ganz anderer als der Roddenberry-Worldtrack. Die Veränderung einiger weniger Paramater (z. B. die Zerstörung von Vulcan) führt dazu, dass in diesem Universum eben viele Dinge gleich passieren, andere aber ganz anders.
It’s not an Error, it’s a Feature
Insofern ist das, was mehrere Kommentatoren kritisiert haben, nämlich dass die Filme in ihrer Erzählung zu sehr auf Wissen außerhalb des Universums setzen, das die Charaktere bewohnen, hinfällig. Stattdessen wird Star Trek Into Darkness zu einer brillanten Meditation über die Schicksalhaftigkeit unserer Existenz. Wir blicken auf die Abenteuer der Enterprise-Crew mit den Augen von Spock Prime: Was würde passieren, wenn wir alles noch einmal durchleben könnten, nur unter leicht anderen Voraussetzungen? Wie verschieben sich die Auswirkungen von bestimmten Ereignissen, wenn wir uns zum Zeitpunkt des Ereignisses diesmal an einem anderen Ort befinden? Und wie sehr findet das Universum dennoch einen Weg, bestimmte Ereignisse trotzdem passieren zu lassen – eventuell nur eben mit anderen Vorzeichen (zum Beispiel die berühmte Hände-auf-Glas-Szene)? It’s not an Error, it’s a Feature. Kein Fanservice-Gimmick der Filmemacher, sondern die tiefgreifendste Langzeitstudie des Raum-Zeit-Kontinuums, die „Star Trek“ jemals gewagt hat.* Wir haben also noch eine Menge, worauf wir uns in den nächsten Filmen freuen können!
Das heißt natürlich nicht, dass der Film jedem automatisch gefallen muss. Einige Entscheidungen fand selbst ich im Rückblick überflüssig oder unlogisch. Und natürlich ist „Star Trek“ nicht real und daher ist das Ganze natürlich in Wirklichkeit doch ein marketingwirksamer Serien-Reboot, der eine neue, hyperaktive Generation von Kinozuschauern ansprechen soll, die mit klassischer, nachdenklicher Science Fiction nichts mehr anfangen können und es vorziehen, wenn regelmäßig etwas grundlos explodiert, während gleichzeitig eine weltweit bekannte Marke ausgeschlachtet wird. Es ist auch die Umsetzung der Vorstellungen von J. J. Abrams, der bei jeder Gelegenheit öffentlich erzählt, dass er Star Wars interessanter findet als Star Trek. Aber gleichzeitig ist es eben auch das oben beschriebene.
Versteckte Bösewichter
12. Mai 2013
Dieser Artikel enthält massive Spoiler zu Iron Man 3 und Star Trek Into Darkness. Und nicht nur am Rande. Es geht genau genommen um nichts anderes.
In guten Genrefilmen sind die Schurken gerne mal genauso ikonisch wie die Helden, wenn nicht sogar noch ein bisschen toller. Schließlich dürfen sie als Schurken mit dem Verbotenen nicht nur flirten, sondern all unsere dunklen Fantasien ausleben. Je faszinierender der Widersacher, umso größer die Aufgabe für den Held – man denke an Nosferatu, Goldfinger, Darth Vader, Joker. Umso interessanter ist es, dass in den vergangenen zwei Wochen zwei große Sommerblockbuster gestartet sind, die großen Aufwand betrieben haben, um die wahre Natur ihrer Bösewichter geheim zu halten.
In Iron Man 3 wurde allem Augenschein nach ein alter Erzfeind von Tony Stark aus der Mottenkiste geholt: Der Mandarin, ein Fu-Manchu-Lookalike, der zehn magische Ringe besitzt. Er war es, der auf Postern beworben wurde, er spielt im Trailer neben Tony Stark die tragende Rolle – und auch die Ringe werden gezeigt.
Der clevere Dreh: Nach etwa einer Stunde findet Tony Stark heraus, dass der Mandarin nur eine Atrappe ist; ein trotteliger, drogensüchtiger Schauspieler, der allerdings die Performance seines Lebens gibt, indem er dem Rest der Welt ein perfektes Gesicht für ihre Terror-Angst liefert. Eingesetzt wurde er vom wahren Bösewicht, Aldrich Killian (Guy Pearce), einem durchgeknallten Industriellen. Bei Comicfans ist diese Umdeutung eines ikonischen Schurken wohl auf wenig Gegenliebe gestoßen. Matt Singer aber bringt die Brillianz dieses Schachzugs gut auf den Punkt:
I think „Iron Man 3“ rather brilliantly evades that minefield [of re-inventing the fundamentally racist Mandarin for a modern sensibilty] by using it as the fuel for satire; revealing the Kingsley Mandarin’s mish-mosh of Orientalist imagery as a construction designed to play into ignorant people’s fears. [Director Shane] Black suggests we should be far more worried about the well-dressed, amoral CEO than the vaguely defined „Other“ of so many bad pieces of pop culture.
„True“, schreibt Singer, „Kingsley never shoots anybody with his power rings. But he gets to do something even better: he gets to surprise us.“ Und das besondere dabei: Es funktioniert. Ich wusste (weil ich die Überschrift von Singers Artikel gelesen hatte), dass mich in Iron Man 3 irgendein Twist erwartet, aber die Marketing-Kampagne des Films war so gelungen, dass ich ausgerechnet darauf nicht gekommen wäre.
Die Kritiker spielen mit
Zum Beispiel: Die Interviews, die Ben Kingsley zur Promotion des Films gegeben hat, weisen lediglich darauf hin, dass der Charakter (wie erwartet) etwas mehr Tiefe bekommen hat, als zuvor. Etwa hier beim Guardian: „The key of giving him depth is to try and bring to the camera his unshakable faith in his version of the truth.“ – Alles wahr, und doch kein Hinweis darauf, dass hier eventuell etwas nicht stimmen könnte. Selbst die interviewenden Kritiker, die den Film schon gesehen haben, mussten hier also mitspielen. Und sie haben es freundlicherweise gemacht – und das Publikum genarrt.
Ein bisschen anders, aber doch ähnlich gelagert, sah es bei Star Trek Into Darkness aus. Obwohl die Internet-Gerüchteküche schon vor Monaten vermutet hatte, dass Benedict Cumberbatch Khan, den berüchtigsten Star-Trek-Bösewicht aller Zeiten spielt, wurden bis zum Schluss alle Register gezogen, um genau das geheim zu halten. Da der Charakter einen Namen brauchte, wurde einer erfunden („John Harrison“), und sogar auf etwas gequälte Art in den Film eingebaut.
Ironischerweise steht Cumberbatch dennoch im Zentrum der Marketing-Kampagne des Films. Er ist auf jedem Poster zu sehen und Dreh- und Angelpunkt des Trailers.
Der Trailer selbst ist ein Meisterstück der Täuschung. Viele seiner zentralen Szenen stammen aus dem dritten Akt des Films – am Anfang des Trailers sind einige Bilder aus der vorletzten Szene vor dem Abspann zu sehen. So jedoch wird der Eindruck erweckt, Cumberbatchs Charakter würde auf der Erde für Chaos sorgen – dabei spielen große Teile von Star Trek Into Darkness traditionsgemäß im All.
Ferne Echos
In der Tat scheint die gesamte Handlung des Films, der so wirkt als hätte jemand ferne Echos von The Wrath of Khan gehört und aus den Bruchstücken ein neues Drehbuch gestrickt, sich nur darum zu drehen, Cumberbatchs Rolle immer wieder zu untergraben. Erst wirkt er wie ein beliebiger Terrorist, dann wie jemand, der einen Krieg zwischen Sternenflotte und Klingonen provozieren will, dann wie ein Opfer des kriegslüsternen Admirals. Erst im letzten Drittel des Films wird klar, dass er tatsächlich jener Khan ist, der immer nach seinen eigenen Regeln spielt. Und ab diesem Punkt werden die Echos von Wrath of Khan dann auch etwas lauter.
Anders als bei Iron Man 3 schien diese Erkenntnis dann allerdings so ungeheuerlich, dass Kritiker und Fans einfach nicht die Klappe halten konnten. Zumindest nicht alle.
Man muss doch nicht die Identität von Cumberbatch in der Überschrift preisgeben, wenn Abrams und Co. sie so lange geheim gehalten haben. ;_;
— Sascha (@reeft) May 9, 2013
Die Star Trek-Macher J. J. Abrams und Damon Lindelof sind für ihre Liebe zum Mysterium bekannt. Auch bei ihren anderen Schöpfungen, von „Lost“ über Cloverfield bis Prometheus, ist es ihnen immer gelungen, kritische Enthüllungen geheim zu halten. Bei Iron Man 3 war es eher ein geschicktes Spiel mit den Erwartungen des Fan-Publikums, dass den Bösewicht-Austauch motivierte. Für mich bleibt wie immer die Frage: Wird diese Entwicklung jetzt Schule machen? (Für Star Wars hat Kathleen Kennedy bereits eher gen Nein tendiert.)
Die Karotte ist gar keine
Am Ende von The Manchurian Candidate erschien 1962 noch eine Texttafel, die die Zuschauer darum bat, das Geheimnis des Films anderen Zuschauern nicht vorher zu verraten. Seit sich Teile des Kinos fest in der Hand der Internet-Nerds befinden, ist das Jagen nach Plotschnipseln und Twist-Enthüllungen in der kritischen Buzz-Phase vor der Hauptwerbekampagne zu einem beliebten Sport geworden, der von Studios und Fans gemeinsam betrieben wird. Inzwischen scheint es damit soweit gekommen zu sein, dass die Filmemacher ihre meistwissenden Fans bewusst aufs Glatteis führen, um sie im Kino immer noch überraschen zu können. Im Fall von Khan gingen sie sogar so weit, ihnen die Karotte direkt vor die Nase zu halten, aber steinhart zu behaupten, es sei keine Karotte.
Ich glaube, dass das manchmal funktionieren kann, aber nicht immer. Denn manchmal brauchen wir einfach von Anfang an die bestmöglichen Bösewichter, um ebenso bestmöglich mit unseren Helden mitfiebern zu können.
[Ergänzung, 20. Mai]: Dieser Artikel zeigt, welche absurden Schritte die Into Darkness-Macher unternommen haben, um das Khan-Geheimnis zu bewahren, und was ihre Motivation war. Matt Singer, der den Mandarin ja gelobt hatte, hat unterdessen einen feurigen Artikel gegen eben diese Geheimhaltung verfasst.