Rezension: Mashup – Das vernünftige Manifest

28. September 2011

Bild: Suhrkamp/InselIm Internet hilft es häufig, laut zu schreien. Wer gehört werden will im Wust von Status Updates, Tweets, Blogposts und suchmaschinenoptimierten Artikeln, dem kann es selten schaden, seine Position vielleicht noch ein bisschen mehr zuzuspitzen, sich selbst ein paar Zentimeter mehr in Richtung Boulevard zu schieben. Kein Artikel ohne Bild, keine Überschrift, die nicht nach Skandal riechen könnte, kein Meinungsartikel ohne durchnummerierte Bullet Points.

Mashup: Lob der Kopie von jetzt.de-Redaktionsleiter Dirk von Gehlen passt in diese Aufzählung nicht hinein. Suhrkamp, der Verlag, in dem von Gehlens Buch erschienen ist, gestaltet seine Buchdeckel so minimalistisch wie möglich und scheint mit seinem anspruchsvollen Selbstverständnis keinen Platz mehr zu haben in der hyperventilierenden Echtzeit-Welt des Netzes. Was also macht ein Buch über Medienwandel, ein Plädoyer für ein nachhaltiges Umdenken im Umgang mit geistigen Gütern im digitalen Zeitalter genau dort?

Es wirkt. Die Konzeption und Veröffentlichtung von Mashup in genau diesem Kontext erscheint fast wie ein Infiltrationsversuch. Die Netzgemeinde selbst jubelt sich ohnehin schon oft genug zu, wenn es um die immer neue und doch immer gleiche Beschreibung ihrer Werte und Visionen geht. Überzeugt werden muss nicht die digitale Bohême, sondern die Frank Schirrmachers und die Suhrkamp-Leser dieser Welt. Und genau dort sollte Mashup vorzüglich wirken.

Dirk von Gehlens Argumente für einen entspannteren und freieren Umgang mit kreativ verwendeten Kopien sind nicht neu. Sie sind zusammengetragen – man möchte sagen: zusammenkopiert. Das Lob der Kopie beschreibt in seinem Titel seine eigene Arbeitsweise, die gleichzeitig seit Jahrhunderten die Arbeitsweise der Wissenschaft ist. Von Gehlen zitiert ausführlich aus Goethe-Memoiren, Standardwerken, Gesetzestexten und wissenschaftlichen Kommentaren. Er beschreibt methodisch und unaufgeregt die Entwicklung des Urheberrechts und wählt die in seinen Augen besten Vorschläge zu dessen Anpassung aus. Er führt Experteninterviews, die eigentlich nur weitere Zitate einzelner Denker sind, seinen eigenen Worten aber zusätzliches Gewicht verleihen. Mashup beginnt bewusst mit einem Beispiel aus der archaischen, ganz und gar nicht hypertextuellen Welt des Fußballs. Und es schließt mit Forderungen, die auch einem Vermittlungsausschuss entspringen könnten: moderat, fundiert und vernünftig. Forderungen nach der Anerkennung der kreativen Kopie als Partizipation an Originalen, die nur wir selbst zu solchen gemacht haben.

Der Clou an Mashup ist, dass es sich für eine Reductio ad Absurdum so gar nicht eignet – ganz anders als die Visionen mancher Netzevangelisten von Cluetrain bis Jarvis, die man je nach Weltsicht vortrefflich lieben oder hassen kann. Stattdessen hat von Gehlen hat eine der elementaren Ideen des digitalen Zeitalters auf genau der Ebene zusammengefasst, die sie auch für Skeptiker überzeugend machen sollte. Die Kategorie „junger Heißsporn“, welche die Altvorderen dazu bringen könnte, das Buch mit einem gnädigen Schmunzeln abzutun, bedient er – mit einer „Playlist zum Buch“ etwa – nur gerade soweit, dass sie noch sympathisch und nicht umstürzlerisch wirkt.

Bleibt nur zu hoffen, dass der Infiltrationsversuch gelingt.


Mashup bei Suhrkamp. Titelabbildung von dort.

2 Antworten to “Rezension: Mashup – Das vernünftige Manifest”


  1. […] in den Entstehungsprozess eingeschaltet. Aber ich fand Dirks Vorgängerwerk “Mashup” ziemlich großartig (warum, und was das ganze mit dem Lobo/Passig “Internet”-Buch zu tun hat, dazu muss ich […]


  2. […] persönlich getroffen zu haben, für einen klugen und sympathischen Menschen. Sein erstes Buch Mashup mochte ich, weil es die gleichen Qualitäten aufweist wie der Rest seiner Texte. Sie sind […]


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