Die deutsche Film-Blogosphäre: Christoph Hochhäusler von „Parallel Film“ und „Revolver“

22. Januar 2013

Für mein polemisches Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.

Christoph Hochhäusler ist Filmemacher. Und er bloggt. Mit anderen Worten: Er ist einer von denen und er ist einer von uns. Das allein ist schon Grund für Faszination und damit auch für ein Interview. Doch sein elektronisches Notizbuch „Parallel Film“ ist auch so das Lesen wert, vor allem wenn man sich für Inspiration interessiert. Denn Christoph notiert dort wirklich meist nur wenige Sätze, manchmal ein paar Bilder, aber man spürt, wie dahinter die Räder in seinem Kopf mahlen. Und vielleicht taucht eine Umsetzung der Notizen dann eines Tages in einem seiner Filme auf.

Du bist einer der wenigen deutschen Filmemacher, die bloggen. Wie lange machst du das schon und wie kam es dazu?

Angefangen habe ich vor etwas mehr als sechs Jahren, im August 2006. Seitdem habe ich fast 500 Einträge online gestellt, mehr oder weniger regelmäßig über die Jahre verteilt. Der erste Eintrag umreißt das Projekt so: „Hier sollen in loser Folge Gedanken zum Film veröffentlicht werden, als parallele Bewegung zu meiner filmischen Arbeit“ (16.08.2006). Deshalb auch der Name „Parallelfilm“. Wobei „parallel“ nicht heisst, dass ich die Einträge zeitgleich zur praktischen filmischen Arbeit veröffentliche. Eher schreibe ich in den Lücken zwischen Film und Film an einem „Parallelfilm“. Seit anderthalb Jahren betreue ich auch das „Revolver Blog“, als aktuelles Fenster der halbjährlich erscheinenden Filmzeitschrift, die ich 1998 mitgegründet habe und mitherausgebe. Seitdem fokussiere ich auf meinem eigenen Blog noch stärker auf die Dinge, die meine eigene Arbeit betreffen, Links und Hinweise finden sich hingegen verstärkt bei „Revolver“.

Hat sich etwas geändert, seit du angefangen hast? Warum bloggst du heute?

Es hat sich wenig Grundsätzliches verändert. Ich veröffentliche noch immer Gedanken über das Filmemachen, die mir von allgemeinem Interesse zu sein scheinen, manchmal schreibe ich über Filme, die ich gesehen habe, gelegentlich weise ich auf film- oder netzpolitische Aktualitäten hin. Daneben gibt es Lektürehinweise und Links. Das Netz hat sich in den sechs Jahren erheblich verändert, gerade auch die cinephile Szene ist lebendiger geworden, finde ich (oder ich habe sie besser kennengelernt). Meine Gründe sind immer noch die selben: Ich will ins Gespräch kommen über das Medium, mir selbst klar werden über bestimmte Fragen und Interessierte über meine Aktivitäten informieren.

In den USA finden sich einige Filmemacher, insbesondere solche die ohnehin schreiben, die auch bloggen. Hast du eine Theorie darüber, warum das in Deutschland nicht mehr Filmschaffende machen?

Es gibt durchaus einige Kollegen, die bloggen. Interessanter Weise sind einige der aktivsten keine digital natives: Hans-Jürgen Syberberg, Rudolf Thome, Romuald Karmakar zum Beispiel. Von den jüngeren fallen mir spontan Rainer Knepperges und Dietrich Brüggemann ein. Die amerikanische Filmblog-Szene ist ohne Zweifel lebendiger und vielfältiger als unsere, aber sehr viele US-Filmemacher, die bloggen, kenne ich nicht.

Wie verknüpfen sich dein Blog und deine Arbeit für „Revolver“?

„Revolver“ ist ja im Wesentlichen ein O-Ton-Format. Das heisst wir veröffentlichen Interviews mit und Texte von Filmemachern. Die Perspektive ist arbeitspraktisch. Als Herausgeber stellen wir natürlich Fragen, schreiben gelegentlich mal einen Text, aber im Kern geht es um die Positionen der Anderen. In meinem Blog kann ich mich dagegen den Fragen widmen, die mich interessieren und bin in der Art der Äusserung freier. Die wenigsten Einträge erfüllen die formalen Voraussetzungen oder Erwartungen an einen Artikel. Es ist eben wirklich ein (Web-) Logbuch. Oft blogge ich nur ein einzelnes Bild oder einen Satz, auf den ich gestossen bin.

Wie misst du für dich den Erfolg deines Blogs? Ist dein Blog erfolgreich?

Schwer zu sagen. Die Google-Statistik zählt 160.000 Seitenaufrufe insgesamt. Ich kann nicht beurteilen, was das bedeutet. Das Revolver-Blog hatte in einem Jahr mehr Leser als Parallelfilm in sechs. Subjektiv gesprochen aber habe ich durchaus das Gefühl, dass in den Kreisen, in denen ich mich bewege, bestimmte Stichworte aus meinem Blog „landen“, also diskutiert werden. Und um diese Art Austausch geht es mir letztlich. Entscheidend sind nicht die Klickzahlen, sondern das Gefühl, von meinen „Wahlverwandten“ wahrgenommen zu werden.

Bekommst du regelmäßig Feedback auf das, was du schreibst? Bist du im Dialog mit deinen Lesern?

Viel weniger als ich dachte. Und sehr abhängig vom Thema. Es gab in den sechs Jahren vielleicht vier, fünf Mal einen Eintrag, der wirklich kontrovers diskutiert wurde, mit 20 und mehr Kommentaren und einer „überregionalen“ Verlinkung. Die übrige Zeit ist es eine kleine Gruppe von Leuten, die immer mal wieder kommentiert. Gelegentlich trifft man sich dann auch in der realen Welt oder lernt sich überhaupt erst über das Blog kennen. Das ist ein paar Mal vorgekommen, aber es passiert sehr selten. Nach Dreileben hat mir einer – anonym – geschrieben, ich solle mir doch Imamuras Vengeance is Mine ansehen. Dafür bin ich sehr dankbar. Imamura war wirklich eine Entdeckung für mich. Nur schade, dass ich Vengeance nicht vor den Dreharbeiten von Eine Minute Dunkel gesehen habe.

Welche Blogs über Film etc. liest du selbst? Zu welchem Zweck?

Ich habe über die Jahre eine riesige Blogroll angesammelt und lese da quer, wenn ich Zeit habe. Viele amerikanische Blogs. Mubi Notebook lese ich gerne. „Perlentaucher“ Filmkritiken. Das Cargo-Blog (auch wenn es dort nicht mehr so hoch her geht, seit Ekkehard Knörer bei „Merkur” ist). „New Filmkritik“, vor allem, wenn Rainer Knepperges schreibt. David Bordwell. „Dirty Laundry“ (Lukas Förster). „Filmtagebuch“ (Thomas Groh). „Fandor Keyframe“ (David Hudson und Kevin B. Lee vor allem). Eskalierende Träume ab und zu. „Girish“. „The Playlist“. Den Filmfeuilleton-Aggregator Film-Zeit. Critic.de ist ziemlich gut geworden in letzter Zeit. „Artechock“. Die Blogroll von unserem Revolver Blog ist einigermassen aktuell, da finden sich dann noch einige Namen mehr. Warum ich das alles lese? Ganz allgemein gesprochen: aus Erkenntnisinteresse. In der Summe bekommt man einen ganz guten Eindruck über den Status Quo unserer Kunst.

Hast du den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben? Bist du ein Teil davon?

Ja, die gibt es. Zwischen „new filmkritik“ (als einer der ältesten Seiten dieser Art in Deutschland) und „Cargo“ und critic.de und Lukas Förster und Thomas Groh und „The Wayward Cloud“ und „Eskalierende Träume“ und auch „Revolver“ natürlich gibt es viele Verbindungen. Das merkt man an Verlinkungen, an Kommentaren, an personellen Überschneidungen (natürlich gibt es auch noch andere, kommerziellere Cluster dieser Art). Parallelfilm ist da eher ein Trabant, weil ich da ja sozusagen als Produzent schreibe. Aber ich fühle mich durchaus als Teil dieser Welt.

Die von dir aufgezählten Blogs klingen gemeinsam nach so einer Art Arthaus-Feuilleton-Club. Meinst du es gibt auch Brückenschläge zu den eher geekig-nerdigeren Ecken des Filmnetzes oder bleiben die beiden Sphären eher getrennt – ähnlich so, wie es ja im Kino auch nur wenige Filme schaffen, Massenpublikum und Film-Intelligentsia in ihrem Zuspruch zu vereinen?

Also „geekig-nerdig“ sind die „Eskalierenden Träume“ bestimmt. Auch „Wayward Cloud“ bemüht sich sehr um die Grenzen des guten Geschmacks. Thomas Groh und Lukas Förster kommen so weit ich weiss aus der Richtung Fanzine/“Splatting Image“, sind also bestimmt nicht auf Konsens-Arthouse abonniert. Ich selbst bewege mich da auf deutlich kanonischeren Bahnen, verstehe mich nicht als Fan, bin kein Trash-Liebhaber oder Genre-Aficionado usw. Ganz grundsätzlich würde ich dir zustimmen: das Publikum ist heute sehr ausdifferenziert, entmischt sozusagen, und das schlägt auf das Kino zurück. Im Oktober 2006 habe ich dazu selbst einmal etwas geschrieben.

Gibt es im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien, wie es sie auch im Printbereich gibt?

„Spiegel Online“ hat glaube ich die größte Reichweite unter den deutschen Seiten, aber mindestens in kulturellen Dingen ist das natürlich reinster Boulevard. Es gibt ein paar respektierte Namen, die schon länger dabei sind, etwa „telepolis“ oder „Perlentaucher“ – aber Leitmedien? Vielleicht könnte man Seiten wie Wikipedia so einordnen? Aber gerade in Sachen Film ist die deutsche Wikipedia-Gemeinde leider sehr schwach.

Wie würde dieser Komplex „Schreiben über Film im Netz“ in einer perfekten Welt aussehen?

Ich würde mir vor allem mehr Streit wünschen. Die deutsche Filmszene kennt viele Beißhemmungen. Und ich fände langfristig gut, wenn man gute Texte unaufwändig belohnen könnte. Flattr geht zwar in die richtige Richtung, ist mir aber immer noch zu kompliziert. Dass die großen Printmarken sich im Netz so einzäunen verhindert viele Diskussionen. Wir brauchen mehr und selbstbewusstere Aggregatoren, die eine Art Portalfunktion übernehmen und vielleicht auch bestimmte Fragen „plakatieren“, den Streit organisieren, die Arena dafür bieten. Wenn ich die „taz“, „faz“ oder „sz“ wäre, würde ich ein großes, unabhängig kuratiertes Schaufenster (nicht nur) für die deutschen Filmblogs einrichten. Natürlich müssten die „Auslagen“ im Schaufenster irgendwie bezahlt werden, aber entscheidender ist das Bewusstsein, dass journalistische Autorität nicht (mehr) durch Exklusivität, sondern durch Auswahl und Kontext entsteht.

2 Antworten to “Die deutsche Film-Blogosphäre: Christoph Hochhäusler von „Parallel Film“ und „Revolver“”


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  2. […] Blogger Christoph Hochhäusler im Januar schon im Rahmen meiner Untersuchung zur Film-Blogosphäre per E-Mail interviewen konnte, hatte ich im März auch Gelegenheit, ihn persönlich in Berlin zu […]


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