© 20th Century Fox

Es dauert 28 Minuten bis Annie Porter das erste Mal die Leinwand betritt und doch ist sofort klar, dass der Film ab sofort ihr gehören wird. Die junge Frau im trendigen Grunge-Outfit bekommt ihr Leben zwar scheinbar nicht auf die Reihe – sonst müsste sie nicht mit einem vollen Kaffeebecher dem Bus hinterher laufen – aber was ihr an Alltagstauglichkeit fehlt, macht sie mit Charme wieder wett. Nicht umsonst ist der Busfahrer ihr Kumpel und auch der Rest des vollbesetzten Busses scheint ihr die Verzögerung kaum übel zu nehmen. Der nervige L.A.-Tourist verfällt ihr sofort, und natürlich wird ihr auch Officer Jack Traven (Keanu Reeves) letztendlich verfallen. Annie Porter muss man einfach gern haben.

Speed ist ein Ur-Moment für Sandra Bullock, wie man ihn nur von wenigen anderen Schauspielerinnen kennt. Die Rolle der Annie Porter schien ihr auf den Leib geschneidert zu sein – und es ist kein Wunder, dass man sich kaum an eine Perfomance von ihr davor erinnert, obwohl sie damals, mit fast 30 Jahren, bereits einige Erlebnisse im Business hinter sich hatte.

Wildcat behind the Wheel

Obwohl Graham Yost offiziell Drehbuchautor von Speed ist, ist es kein Geheimnis, dass Joss Whedon das Drehbuch auf Charakter- und Dialogebene maßgeblich geformt hat und so ist Annie Porter auch eine typische Whedon-Frau: Sie ist eindeutig weiblich und eher zierlich, lässt Angst und andere Gefühle zu und stellt sie offen zur Schau. Doch während Jack Traven Befehle gibt und waghalsige Stuntakrobatik abliefert, fährt sie den verdammten Bus. Mit über 50 Meilen die Stunde. Eine „wildcat behind the wheel“, wie Bösewicht Dennis Hopper sie nennt. (Im dritten Akt des Films wird sie dann leider doch zur hilflosen Damsel in Distress, aber erinnert sich überhaupt noch jemand daran, dass der Film in einer U-Bahn und nicht in einem Bus endet?)

© Screenshot: 20th Century Fox
© Screenshot: 20th Century Fox

Heute ist Sandra Bullock ein Filmstar. Der bestbezahlte sogar. Und doch findet sich kaum ein Artikel, kaum ein Interview, in dem nicht erwähnt wird, dass Bullock immer noch einen „Mädchen von Nebenan“-Charme versprüht. Dass sie eine Frau ist, die andere Frauen gerne zur Freundin hätten. Man möchte fast sagen: Sandra Bullock ist Annie Porter. Ein bisschen zu apart sind ihre Gesichtszüge für klassische Hollywood-Schönheit. Ein bisschen zu frech und zu klug blitzen ihre Augen für den hohlen Glamour des roten Teppichs.

Bullock hat die Annie-Porter-Figur in ihrer Karriere endlos variiert, mal mehr mal weniger erfolgreich, in all den seichten und vergleichsweise belanglosen Filmen, in denen sie der Star war. Manchmal hat sie die gefühligere Seite der Figur nach außen gekehrt, wie in While you were Sleeping mit Bill Pullman und The Lake House, der Wiedervereinigung mit Speed-Costar Keanu Reeves. Mal mutiert die Busfahrerin zur schlagkräftigen Frau im Business-Milieu, wie in The Net und A Time to Kill. Und dann gibt es noch die Parodie der Frau, die etwas zu taff ist, um wirklich Frau zu sein, mit der sie in Miss Congeniality 1 und 2 und The Proposal zur bestbezahltesten Schauspielerin Hollywoods aufstieg.

Ironische Ausreißer

Es gibt Ausreißer in dieser Rollenbiografie. Und beide entbehren nicht einer gewissen Ironie. Denn eine davon ist ausgerechnet Bullocks zweiter Auftritt als Annie Porter in Speed 2: Cruise Control. In dem weithin als überflüssigstes Sequel der Filmgeschichte angesehenen Überflop mutiert Annie zu einer Mischung aus Chaoshyäne und ängstlichem Beach Girl, das nur darauf wartet, dass ihr neuer Freund Jason Patric mit Steven-Seagalscher Stoik den Tag rettet. Hier spielt Bullock genau das, was sie vorher nicht war: den Hollywood-Star Bullock.

© Screenshot: 20th Century Fox
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Der zweite Ausreißer ist ihre Rolle in The Blind Side, wo sie plötzlich mit blondgefärbten Haaren eine Oberklasse-Mutter mimt, die sich eines unterpriviligerierten, afroamerikanischen Footballtalents annimmt. Auch eine bestimmt agierende Frau zwar, aber doch eine, die mit ihrem All-American-Image so gar nicht zu Bullock passen will. Ironisch, aber wahrscheinlich entsprechend auch völlig folgerichtig, ist dieser Ausreißer deswegen, weil Bullock dafür ihren bisher einzigen Oscar gewann.

© Warner Bros.

The Second Coming

2013 war das Jahr, in dem Sandra Bullock die Welt wissen ließ, dass man nach wie vor mit ihr (und mit Annie Porter) rechnen muss. Zuerst in The Heat (Bild am Anfang des Artikels), in dem sie der Miss Congeniality-Figur einen neue Facette verlieh. Die Polizistin Ashburn ist ein unsympathischer Kontrollfreak, der – wie sich später herausstellt – nur wegen eines Kindheitstraumas so unlocker ist und deswegen von ihrem exakten Gegenteil auf der Korrektheits-Skala (Melissa McCarthy) erst eine Runde weichgeschüttelt werden muss. Ein Buddy-Movie mit zwei Frauen, die beide auf unterschiedliche Art klassischen Frauenbildern widersprechen.

Und dann schließlich mit Gravity. Es ist wahrscheinlich dem überwältigenden, technischen Spektakel des Films zu schulden, dass nicht in mehr Kritiken und Artikeln der Rückvergleich gezogen wurde zwischen der durchs All treibenden Ryan Stone und Bullocks Durchbruchs-Rolle in Speed. Hier wie dort findet sich eine Frau plötzlich in rasanten Umständen wieder, die sie kaum kontrollieren kann, mit einer tickenden Bombe im Nacken. Und hier wie dort bringt diese Frau den Bus/die Raumkapsel am Ende erfolgreich ans Ziel. Ryan Stone ist die erwachsene Version von Annie Porter. Das Leben hat in der Zwischenzeit einige Narben bei ihr hinterlassen (obwohl der Haarschnitt ähnlich geblieben ist), doch dafür braucht sie auch keinen Mann mehr, um ihre Mission zu Ende zu bringen.

© Warner Bros.

Bullockness in Perfektion

Gravity ist der Film, für den Sandra Bullock einen Oscar verdient hätte. Ganz abgesehen davon, dass ihre Performance den Film mühelos trägt, berührend und nervenkitzelnd zugleich; dass dahinter Schauspiel in erstaunlichen Umständen steht, in dem Bullock abwechselnd alleine in einer Lichtkiste saß und von Puppenspielern an Fäden dirigiert wurde. In Gravity spielt Sandra Bullock mit fast 50 Jahren die vollendete Version ihrer Rollengeschichte. Bullockness in Perfektion.

Leider stehen die Chancen schlecht. Zu groß ist die Konkurrenz durch Cate Blanchetts erstaunliche Kernschmelze in Blue Jasmine und Amy Adams‘ chamäleonhafte Reflektion über Schein und Sein in American Hustle. Aber wer weiß: Es gab schon größere Überraschungen in der Oscarnacht. Und Annie Porter kann Sandra Bullock sowieso keiner mehr wegnehmen.

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass ich in diesem Blog einen Artikel mit dem Titel „Vier Thesen zur deutschen Film-Blogosphäre“ veröffentlicht habe. Für mich einer der wichtigsten Artikel, die ich je geschrieben habe, für die deutsche Film-Blogosphäre zumindest ein willkommener Stein des Anstoßes, der in den Wochen danach viel Diskussion generierte.

Doch was ist wirklich passiert, seit mein Artikel erschien? In diesem Jahr habe ich keine Interviews geführt und Statistiken kann ich leider auch nicht vorweisen. Aber ich möchte behaupten, dass ich mich im vergangenen Jahr so ziemlich immer dort bewegt habe, wo etwas mit Film-Blogosphäre passierte und mir deshalb eine Beurteilung der momentanen Situation anmaßen kann. Genau das werde ich also tun.

Es gibt eine deutsche Film-Blogosphäre

Ich will um Himmels Willen nicht behaupten, dass mein Artikel eine Film-Blogosphäre erschaffen hat, wo vorher keine war. Wofür ich mir ein bisschen auf die Schulter klopfe, ist, dass dann doch eventuell einige Leute aufeinander aufmerksam geworden sind, die sich vorher nicht kannten (das war das häufigste Feedback, das ich bekommen habe) und dass einige Aktionen ins Leben gerufen wurden, die versucht haben, auf meinen Artikel aufzubauen. Leider sind einige davon auch wieder versandet, etwa die Facebook-Gruppe und das Blog Film-Blogosphäre, aber die Gründe dafür liegen, anders als ich noch vor einem Jahr gedacht hätte, tiefer als in reiner Ignoranz (mehr dazu gleich).

Ich möchte behaupten: Das reine Interesse an Aktionen wie meinem „Film Blog Group Hug“, dem „Media Monday“, der sichtbarer ist denn je, den oft sehr lebhaften Diskussionen auf Twitter und in der von Merkur Schröder (aka Intergalactic Ape-Man) gegründeten Facebook-Gruppe Deutsche Filmblogger zeigt, dass die deutschen Netzfilmschreiber einander zum großen Teil zumindest kennen. Alles andere hängt vom Willen und vom Engagement jedes Einzelnen ab.

Die „Cluster“, von denen ich das letzte Mal gesprochen habe, gibt es natürlich trotzdem. Ich glaube, dass ich sie inzwischen auch etwas besser differenzieren kann, als noch vor einem Jahr. Der sie verbindende Kleber besteht aus persönlicher Bekanntschaft und einem gemeinsamen Blick auf die Filmwelt und ich habe inzwischen einfach eingesehen, dass sie sich nie alle in einen Topf pressen lassen werden (und wollen). Frei nach Mark Granovetter wird es in diesem Bereich weiter die „Strength of Weak Ties“ brauchen, um über die Cluster hinaus Brücken zu bauen, das ist aber okay so.

Einige Deutsche Filmblogcluster

Wie schon gesagt spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, damit publizierende Menschen von außen wahrnehmbare Gruppen bilden. Die Berliner Online-Profis, zum Beispiel, sehen sich, so ist meine Wahrnehmung, persönlich regelmäßig bei Pressevorführungen und schreiben für die gleichen Auftraggeber, etwa Filmstarts.de und kino-zeit.de. Sie sind außerdem, grob geschätzt, alle zwischen Mitte Zwanzig und Ende Dreißig und leben eben zum Teil vom Schreiben oder machen was anderes „mit Medien“. Sie sind durchaus zu trennen von den Berliner Feuilletonisten, die sich eher um Zeitschriften wie „Cargo“ und „Revolver“ sowie den „Perlentaucher“ gruppieren, im Schnitt vielleicht etwas älter sind und auf jeden Fall einen ganz anderen, deutlich arthousigeren und Filmklassiker stärker schätzenden Filmgeschmack haben.

Den Berliner Feuilletonisten nahe stehend, aber doch irgendwie ihr eigenes Süppchen kochend, sind die Trash-Liebhaber. Ich benutze das Wort „Trash“ hier sehr weitläufig, weil ich persönlich von diesem Filmsegment absolut keine Ahnung habe. Es geht mir im weitesten Sinne um alle Arten der Exploitation, um abseitiges Genrekino, dessen andauernde Faszination immer noch und immer wieder Liebhaber zusammenschweißt. Gewisse Überschneidungen gibt es wahrscheinlich mit den Engagierten Amateuren, einer recht großen und losen Gruppe, die sich (und ich hoffe, dass ich dafür nicht wieder Prügel beziehe) für mich vor allem dadurch auszeichnet, dass die ihr Zugehörigen meist außerhalb des Bloggens keinerlei professionelle Bindungen zur Film- oder Medienwelt haben. (Es gibt noch mehr Cluster, aber die sind kleiner, manchmal etwas unscharf und ich habe keine guten Namen für sie)

Das mit der „professionellen Bindung“ ist für mich nach wie vor eine Demarkationslinie, an der ich einfach nicht vorbei komme. Ich merke es in Alltagsgesprächen ebenso wie im Stil der Texte, die dabei entstehen. Es ist einfach ein Unterschied, ob man gerne und viel Filme guckt, oder ob man sich systematisch und beruflich mit Film beschäftigt. Bei letzterem ist es wiederum fast egal, ob man Filmwissenschaft studiert hat und sich weiter im akademischen oder randakademischen Bereich aufhält, ob man Kinoprogramme kuratiert, Festivals organisiert und sich im Kulturbetrieb bewegt oder ob man als Filmjournalist oder in der Film-PR arbeitet (oder alles drei). Das Verhältnis zu Film als Medium ändert sich einfach, meiner Meinung nach vor allem deswegen, weil man mehr Filme „unfreiwillig“ sieht und dadurch seinen eigenen Horizont zwangsweise in unerwartete Richtungen erweitert.

Das Ergebnis ist nicht unbedingt, dass „Profis“ auf „Amateure“ hinabblicken, ganz und gar nicht. Aber ich stelle immer wieder fest, dass es schwieriger ist, eine gemeinsame Gesprächsgrundlage zu finden. Und damit ist es natürlich auch schwieriger, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. Die Themen und Wahrnehmungen der Filmwelt verschieben sich einfach.

Warum sollte mich deine Kritik interessieren?

Vor einem Jahr habe ich quasi gefordert, damit eine Filmblogosphäre wachsen könne, müssten wir einander mehr lesen. Diese Initiative wurde unter anderem in dem oben erwähnten WordPress-Blog und auch der spontan gegründeten „Film-Blogosphäre“-Gruppe auf Facebook aufgegriffen, die dann vor allem Filmkritiken sammelten. Und in der Tat besteht ein großer Teil der über Film bloggenden Menschen in Deutschland aus Menschen, die einfach eine Filmkritik nach der anderen ins Netz stellen.

Hier nun entfaltet sich am deutlichsten das Dilemma der Filmkritik im Internetzeitalter. Um aus einer einzelnen Filmkritik als Leser einen Wert ziehen zu können, muss man die Autorin kennen. Entweder persönlich oder dadurch, dass man schon einige Texte von ihr gelesen hat. Als mediativer Faktor kann eventuell hinzukommen, dass jemand anderes dafür bürgt, dass die Meinung dieser Person etwas „wert ist“. Bei professionellen Filmjournalisten ist das die Person, die die Autorin dafür bezahlt, dass sie über den Film schreibt.

Dieser Bürge existiert bei Bloggern nicht. Das heißt auf keinen Fall, dass die Meinung deswegen schlechter ist. Es heißt nur, dass ich als Leser mehr Zeit investieren muss, bevor ich mir selbst ein Urteil bilden kann. Und für mich bedeutet das dann wiederum häufig, dass ich mir die Mühe gar nicht erst mache – und ich denke mir, es geht anderen ähnlich. Die Qualität der Texte sinkt ganz und gar nicht, es gibt nur mehr davon und sie sind schwerer zu finden. Und Blogs, die eben nur aus Kritiken bestehen, verlassen meinen Radar.

Ich wünsche mir immer noch ein Leitmedium

Um diese ärgerliche Situation zu verbessern, wünsche ich mir einfach immer noch einen Aggregator, der für mich alles liest und mir eine Auswahl präsentiert. Und damit meine ich eben nicht (Sorry!) die x-te „Der Film hat mir gefallen/nicht gefallen“-Kritik, mit der ich nichts anfangen kann, außer ich bin mit der allgemeinen Meinung der Autorin vertraut. Sondern herausragende Texte, die zur Diskussion anregen und Erkenntnis fördern. Und obwohl es konterintuitiv klingt: Gute Kuratierung führt dazu, dass man mehr liest, nicht weniger. Sie regt dazu an, selber weiter auf Entdeckungsreise zu gehen. Mit anderen Worten: Im Idealfall würden wir einander alle mehr lesen.

Es gibt Seiten, die das im Ansatz machen. Die Facebook-Seiten von Revolver und crew united, zum Beispiel, sind hervorragende Quellen für interessante deutschsprachige Filmartikel – werden jetzt aber auch durch Facebooks neue Reach-Politik ausgehebelt. Film-Zeit veröffentlicht täglich einen Pressespiegel zum Thema Film, in dem immer mehr Blogs auftauchen, den man aber nicht abonnieren kann, weder als Feed noch über Social Media. Von etwas wie „Keyframe Daily“ sind wir trotzdem noch meilenweit entfernt.

Mir ist bewusst, dass das eine hohle Klage ist, denn entweder findet sich jemand, der bereit ist, täglich durch die deutschsprachigen Onlinepublikationen zum Thema Film zu sieben, oder eben nicht (Wenn ich irgendwann mal arbeitslos bin, mach ich es). Und sicherlich wäre ein guter Aggregator kein Allheilmittel. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.

Einfach machen, einfach wollen

Am Ende hilft alles Jammern nichts, man muss einfach machen. Und ich habe eben das Gefühl, dass sich da durchaus was tut und bewegt. Angefangen von den Filmosophen, die sich Gemeinschaft auf die Fahnen schreiben (was sie anfangs nicht gemacht haben), zu den Plänen von Sascha und mir, den „Pewcast“ wiederzubeleben und dabei möglichst oft Gäste von überall einzuladen (wie es auch andere Podcasts inzwischen immer häufiger machen). Ich werde außerdem weiterhin nicht ruhen, auf jedem Festival, das ich besuche, zu versuchen, die Menschen hinter den Blogs zu treffen. Denn wenn ich eins gelernt habe ist es, dass in der Blogosphäre nichts so sehr verbindet wie ein persönlicher Kontakt.

Natürlich muss man diese Verbindung wollen. In der „Deutsche Filmblogger“-Gruppe gab es im Dezember eine heftige Diskussion, in der darum gestritten wurde, ob man Kodifizierung und zwangsweise Unter-einen-Hut-Bringung überhaupt braucht. (Wie auch schon damals vor einem Jahr). Die Antwort lautet natürlich: NEIN. Macht doch alle, was ihr wollt. Homogenisierung ist nicht das Ziel. Wer mit dem größten Teil der über Film bloggenden Menschen nichts anfangen kann und will, muss sich mit ihnen nicht beschäftigen. Ich persönlich stelle nur immer wieder eins fest: Es ist eine große Bereicherung für einen selbst, wenn man es – auch gegen alle Vorurteile, die man haben mag – eben doch mal macht.

[Update, 20. Januar. An dieser Stelle ist eine offizielle Entschuldigung bei Marco Koch vom „Filmforum Bremen“ angebracht, der seit langer Zeit schon unermüdlich jede Woche in seinem Bloggen der Anderen in seinem Interessenfeld genau die Art von Aggregation vornimmt, die ich mir in diesem Artikel wünsche. Ich lese seine Rubrik jede Woche und habe natürlich auch beim Schreiben dran gedacht – und sie dann im Eifer des Gefechts doch vergessen. Entschuldige, Marco!]

© Walt Disney Pictures

Guardians of the Galaxy

Um diese Zeit des Jahres sind Vorschau-Listen sehr populär. Ich habe mir gedacht, statt euch zu erzählen, auf welche Filme ich mich 2014 besonders freue, konzentriere ich mich auf meine Spezialthema, das auch in Continuity im Mittelpunkt stehen wird. SPOILER-WARNUNG für alle bisherigen Filme der jeweiligen Franchises.

Mit dem Marvel-Klassentreffen The Avengers, in dem die Figuren aus mehreren Filmen in einem weiteren Film aufeinandertrafen, wurde 2012 ein neuer Meilenstein in Sachen Kinofilm-Franchising gelegt. Im vergangenen Jahr hatten die restlichen Studios Zeit, sich Gedanken zu machen, ob und wie sie ihre eigenen Filmserien an das Disney-Marvel-Modell anpassen wollen. Und obwohl die nächste große Höhepunkt-Runde erst im Sommer 2015 ansteht, werden bereits 2014 einige wichtige Räder in Gang gesetzt.

Marvel Cinematic Universe

Marvel Studios hat 2014 zwei Kinofilme in den Startlöchern. Captain America: The Winter Soldier (in Deutschland The Return of the First Avenger) startet am 4. April in den USA und am 1. Mai in Deutschland. Zur Handlung verrät wohl der Titel am meisten: Der Winter Soldier ist eine bekannte Figur in den Comics – eine „umgedrehte“ Version von Steve Rogers‘ Kumpel Bucky, der ja eigentlich im ersten Captain America in eine tödliche Schlucht gefallen ist.

Interessant wird, wie sehr sich die Handlung von The Winter Soldier, in der die Auseinandersetzung mit der immer hegemonialer agierenden S.H.I.E.L.D.-Organisation eine größere Rolle spielen wird, mit dem Season Finale der Serie „Marvel’s Agents of S.H.I.E.L.D.“ interagieren wird. In „Agents“ wurde über’s Jahr ein ähnlicher Handlungsstrang aufgebaut: Entscheidungsfreiheit vs. Bevormundung – durchaus auch ein interessantes Echo der Rolle der USA in der Welt. Die Crossover-Folge von „Agents“ mit Thor: The Dark World war, um ehrlich zu sein, lachhaft, und beschränkte sich auf eine Aufräumszene mit einigen Wegwerf-Witzen in den ersten paar Minuten, aber die stärkere Rolle von S.H.I.E.L.D. in The Winter Soldier könnte attraktivere Möglichkeiten bieten.

© Walt Disney Pictures

Captain America: The Winter Soldier

Die wahre Integrations-Herausforderung für das Worldbuilding des MCU wird allerdings Guardians of the Galaxy, der ebenfalls in den USA einen Monat (1. August) vor dem deutschen Release (4. September) zu sehen sein wird. Einen winzigen Einblick in den farblich sehr eigenwilligen Look des Films bot der „Stinger“ am Ende von Thor: The Dark World, in dem Volstagg und Sif bei dem von Benicio del Toro gespielten Collector vorbeischauen, um den Aether bei ihm in Obhut zu geben. In der Szene wird nebenbei darauf hingewiesen, dass sowohl Aether als auch Tesseract aus den Avengers zu den sogenannten „Infinity Stones“ gehören. Comicfans erkennen hier den Bezug zu Thanos, dem geheimen Strippenzieher-Bösewicht aus den Avengers, der in den Comics versucht hat, die Infinity-Steine zu vereinen, um dem Tod den Hof zu machen.

Insgesamt hat Guardians MCU-technisch eine Menge zu leisten: Eine völlig neue Ecke des Marvel-Kosmos erschließen, den Rückbezug zu Thanos klarstellen – der in Guardians erneut als Oberbösewicht auftauchen wird und so den Über-Über-Plot vorantreibt, aber sich ansonsten durch seinen Handlanger Ronan the Accuser vertreten lässt – und irgendwie den Weg ebnen für den nächsten Avengers-Film Age of Ultron. Der kommt im Sommer 2015 ins Kino – und die Guardians, um aus Zitaten von Joss Whedon zu orakeln, werden dort erstmal noch nicht auftauchen. Ich tippe auf den Ultron-Stinger um die Verbindung herzustellen.

Seit Captain America im Sommer 2012 ist Guardians also das erste Mal, dass Marvel wirklich neue Helden einführt – und noch dazu ziemlich abgefahrene, denn zu den Guardians gehören nicht zuletzt ein Waschbär und ein Baum. Wir dürfen gespannt sein, ob der Stoff des Franchises sich an dieser Stelle einfach nur etwas weiter dehnt, oder vielleicht erste Risse bekommt. Die MCU-Serien für Netflix folgen übrigens erst 2015.

Marvel bei Fox: X-Men und Fantastic Four

Es ist erstaunlich zu sehen, wie viel den Studios mittlerweile daran liegt, ihre Figuren neu zu erfinden ohne das bisher etablierte Universum damit zu negieren. Was Paramount mit den neuen Star Trek-Filmen schon ziemlich wagemutig angeht (nicht zur Zufriedenheit aller), treibt Fox dieses Jahr mit X-Men: Days of Future Past auf die Spitze: sie inszenieren den größten Retcon der Filmgeschichte.

Es passiert immer wieder, dass Filmserien einzelne Folgen haben, mit denen man im Nachhinein nicht zufrieden ist. Bisher bestand die Lösung darin, einfach ganz am Anfang neu anzufangen, so bei Batman mit Batman Begins nach Batman und Robin, bei James Bond mit Casino Royale nach Die Another Day oder mit Spider-Man als The Amazing Spider-Man nach Spider-Man 3. Auch bei Fox schien man nach dem (nicht finanziellen aber kreativen) Misserfolg von X-Men 3: The Last Stand diesen Weg zu gehen und legte mit X-Men: First Class zunächst eine Origin-Story der Mutanten-Truppe vor. Irgendjemand, vielleicht sogar Regisseur Bryan Singer selbst, muss dann aber die Idee gehabt haben, dass man die Ereignisse von The Last Stand ja durch eine Zeitreise ungeschehen machen könnte.

© 20th Century Fox

X-Men: Days of Future Past

Mit anderen Worten: Es wird ein kompletter, sehr teurer Film inszeniert, der eigentlich nur das Ziel hat, bisher als „gesetzt“ geltende Ereignisse in Zukunft ignorieren zu können. In Days of Future Past, der anscheinend nur sehr grob den Ereignissen des Comic-Erzählstrangs von 1981 orientiert ist, müssen die überlebenden X-Men aus The Last Stand mit ihren jüngeren Versionen aus First Class-Kontakt aufnehmen, um diese auf einen neuen Pfad zu setzen. Im Grunde also das gleiche, was Spock im neuen Star Trek macht, nur das hier nur die „Seele“ von Wolverine durch die Zeit reisen wird, um sich in seinem jüngeren Ich zu manifestieren. Der nächste X-Men-Film ist auch bereits in Planung: X-Men: Apocalypse soll 2016 kommen und vermutlich der „alten“ Riege um Patrick Stewart und Ian McKellen ein zufriedenstellenderes Ende bescheren.

Fox hält neben X-Men außerdem die Rechte an den Fantastic Four, die 2015 einen Reboot bekommen sollen. Das Studio hat ein Gerücht, dass die beiden Universen schon bald aufeinandertreffen sollen, vor ein paar Tage dementiert, aber es könnte auch gut sein, dass sie erstmal abwarten, wie Days of Future Past und die Konkurrenz bei Sony sich so schlägt.

Marvel bei Sony: Das neue Spider-Man-Universum

Während man bei Fox lieber noch eine Weile die Füße stillhält und erstmal versucht, die X-Men zu retten, gibt man sich bei Sony mutiger, obwohl man dort an wesentlich weniger Helden-Charakteren die Rechte hält. Mitte Dezember gab das Studio bekannt, dass The Amazing Spider-Man 2: The Rise of Electro, der am 17. April in Deutschland und am 2. Mai in den USA startet, den Auftakt für ein größeres Franchise-Universum bildet, dass sich hauptsächlich an den Spider-Man-Bösewichten entlang hangeln soll.

Erster Schritt ist die bereits erfolgte Formation eines sogenannten „Franchise Brain Trust“. Die Rolle die bei Disney-Marvel also Kevin Feige und Joss Whedon zufällt, das Zusammenhalten des Story-Gefüges und die Abstimmung der Filme untereinander, ruht hier auf den Schultern des Kreativ-Teams hinter Rise of Electro – Regisseur Marc Webb, die Drehbuchautoren/Produzenten Alex Kurtzman, Roberto Orci (die auch bereits Star Trek rebooteten) und Jeff Pinkner – sowie der weiteren Autoren Ed Solomon (Men in Black) und Drew Goddard (Cabin in the Woods). Zweiter Schritt soll ein Venom-Film sein, den Kurtzman mit Solomon schreibt und selbst inszenieren will und ein Film über die „Sinister Six“, der in den Händen von Drew Goddard liegt.

© Sony Pictures

The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro

Wie Gerold von „DigitaleLeinwand“ auf Facebook richtig bemerkte, erinnert die Konstellation an den „Writer’s Room“ bei TV-Serien, bei dem Autoren die Drehbuch-Rohfassungen einzelner Episoden gemeinsam mit den restlichen Autoren in einem iterativen Prozess finalisieren. Das Prinzip dürfte sowohl Kurtzman und Orci, als auch Goddard aus ihrer langjährigen TV-Erfahrung bei J. J. Abrams Produktions-Schmiede Bad Robot bekannt vorkommen.

Daten für die beiden neu angekündigten Filme gibt es noch nicht, allerdings sind bereits weitere Spider-Man-Teile für 2016 und 2018 angekündigt, zwischen die sie sich dann wohl quetschen werden. Interessant wird es sein, zu sehen, ob in Rise of Electro bereits erste Leinen in Richtung der Bösewicht-Filme ausgeworfen werden und ob Figuren aus den Spider-Man-Filmen etwa in Venom auftauchen werden. Klingt jedenfalls, als hätte man hier ein Modell gefunden, das sich am MCU orientiert, aber in den Begrenzungen, die Sony rechtemäßig auferlegt sind, trotzdem anders funktionieren könnte. Was lang angelegte Pläne wie diese außerdem bedeuten: die Hoffnung, dass Spider-Man in näherer Zukunft zu Marvel-Disney „nach Hause“ wandern könnte, dürfte sich erledigt haben.

Mittelerde

Im Dezember 2014 wird The Hobbit: There and Back Again den Schlussstein unter die sechsteilige Peter-Jackson-macht-in-Tolkien-Saga setzen, die 13 Jahre zuvor mit The Fellowship of the Ring begann. Es gäbe zwar in Mittelerde noch eine Menge andere Geschichten zu erzählen, die Welt hat eine 3000-Jährige Geschichte, doch Tolkiens Erben haben klar gemacht, dass sie die Rechte am „Silmarillion“ und ähnlichen Schriften, niemals verkaufen werden – was schon im Hobbit zu einigen Dialogverrenkungen führte.

© Warner Bros.

The Hobbit: The Desolation of Smaug

Wie sehr Jackson vom Worldbuilding-Franchise-Floh gebissen wurde, zeigte sich in The Desolation of Smaug fast noch deutlicher als in An Unexpected Journey. Begnügte sich der erste Teil der Reihe noch mit einem Intro, dass die Handlungsstränge der Hobbitfilme mit ihren Vorgängern verknüpfte, wurden für Smaug ganze Figuren aus der einen in die andere Filmserie transportiert, die dort laut Vorlage eigentlich gar nicht sein sollten. Für There and Back Again bleibt gar nicht mehr viel Handlung übrig, es dürfte vor allem viel gekämpft werden, aber es wird interessant sein zu sehen, wie Jackson den Film beendet und die Klammer zu den 60 Jahre später spielenden Herr-der-Ringe-Filmen schließt.

Und nachdem ja schon der „Hobbit“ wesentlich freier adaptiert wurde als der „Herr der Ringe“ ist – allen Beschränkungen zum Trotz – natürlich nicht ausgeschlossen, dass Warner/MGM sich irgendwann überlegen, weitere Spinoffs in Auftrag zu geben. „Die Abenteuer des jungen Gimli“, anyone?

DC Universum

Bei DC wird, ebenso wie bei Star Wars, 2015 das große Jahr. Der noch immer unbetitelte Superman/Batman-Crossover-Film soll im Juli die Kinos erobern und nicht nur Clark Kent aus Man of Steel auf einen gealterten Batman, gespielt von Ben Affleck, treffen lassen, sondern auch einen weiteren Pflock auf dem Weg zu einem größeren DC-Filmuniversum in den Boden rammen. Anders lassen sich weder die geplante Anwesenheit von Wonder Woman noch die anderen Anspielungen auf ein größeres Universum in Man of Steel erklären. Das ultimative Ziel wäre dann ein Justice-League-Film. Aber bis dahin dürfte es noch etwas dauern.

Interessanter für 2014 dürfte sein, ob DC sich entscheidet, das Man of Steel-Universum tatsächlich mit dem der äußerst erfolgreichen CW-Fernsehserie Arrow zu integrieren, wie es sich viele Fans wünschen. Warner Bros. steht rechtemäßig hinter beidem. Die Fusionierung wäre also theoretisch möglich, allerdings wurde von den Verantwortlichen bisher immer bestritten, dass eine Kooperation geplant ist. Diagnose: unwahrscheinlich.

Und sonst …

DreamWorks leistet sich 2014 eine interessante Franchise-Fortsetzung. How to train your Dragon 2 lässt seine Charaktere, ungewöhnlich für einen Trickfilm, deutlich ein paar Jahre altern – und scheint sich ansonsten, der Trailer verrät es, eine Scheibe von The Empire Strikes Back abzuschneiden.

© 20th Century Fox

Screenshot aus dem Trailer für How to Train Your Dragon 2

Jack Ryan: Shadow Recruit führt im Februar mit Chris Pine den insgesamten vierten Schauspieler ein, der Tom Clancys legendäre Figur spielt. Sollte der Film, der ebenfalls eine Art Origin Story zu haben scheint, erfolgreich sein, wird man Pine sicher die Gelegenheit geben, die Rolle erneut auszufüllen. Damit wäre er nach Harrison Ford der erste Schauspieler, der mehr als einmal Jack Ryan war – und ein „neues“ Action-Franchise geboren.

300: Rise of an Empire wird sich als Prequel sicherlich bemühen, nicht nur in Titel und Look Bezüge zum Original-300 herzustellen. Bibi & Tina – der Film scheint nicht im gleichen Universum zu spielen wie der erste Bibi Blocksberg-Film von 2002, da keine Schauspieler ihre Rollen erneuern. Dawn of the Planet of the Apes wird versuchen, seinem Vorgänger Rise of the Planet of the Apes zu folgen ohne den Original-Filmen aus den 70ern zu widersprechen. Und die große Frage bleibt: Wie viele Gastauftritte wird wohl der zweite Spinoff des Cars-Universums Planes: Fire and Rescue haben?

Die Länge dieses Artikels zeigt jedenfalls: Es werden derzeit einige neue Universen gebaut. Und auch wenn sich deren Einsatzgebiet nach wie vor hauptsächlich im Comic-Bereich bewegt, würde ich mal voraussagen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis irgendjemand das gleiche Prinzip auch in anderen Genres anwenden wird.

podcasts machen ist das neue schwarz
waxmuth auf Twitter

Neue Dinge ausprobieren ist toll, und sobald Dinge sich dafür anbieten, sie einfach und erschwinglich auszuprobieren, sollte man das tun! Podcasts gehören auch dazu. Der eierlegende Wollmilchmedienmensch der Zukunft sollte in der Lage sein, auch mit Audio zu arbeiten, und ein Podcast ist eine geniale Möglichkeit, seine Audiofähigkeiten auszuprobieren. Hinzu kommt, dass es irgendwie viel weniger arbeitsaufwändig ist, eine Weile frei von der Leber weg zu reden als die gleichen Zeit mit Schreiben oder Videoproduktion zu verbringen. Podcasting ist also die ultimative Geheimwaffe für Leute mit nicht genug Zeit für ein Blog. Nicht wahr?

Fast. Obwohl ich mich, wie gesagt, für jedes Experiment begeistern kann und mich über jeden Podcast freue, der entsteht, gibt es doch ein paar Dinge, die mir als leidenschaftlicher Podcasthörer und gelegentlicher Podcast-Macher aufgefallen sind. Dinge, die mich stören und Dinge, die ich super finde. Und weil ich anscheinend nicht der einzige bin, habe ich diese Dinge mal zu fünf freundlichen Ratschlägen zusammengefasst, die Podcaster meiner Ansicht nach zu besserem Podcasting führen könnten.

1. Denkt dran, dass „Podcast“ von „Broadcast“ kommt

Der „Pod“ in „Podcast“ ist nichts, was die Gattung definiert. Er ist nur das Gerät, auf dem der Klang wiedergegeben wird. Der wichtige Wortteil ist „-cast“, also „senden“. Ein Podcast ist eine Sendung, und eine Sendung sollte für ein Publikum gemacht werden. Wenn es euch egal ist, ob eure Sendung ein Publikum findet oder nicht, oder wenn euer komplettes Publikum auf endlose Insiderwitz-Kaskaden, ziellose Abschweifungen, Essgeräusche und andere Merkmale einer privaten Unterhaltung steht, dann viel Spaß damit. Aber denkt grundsätzlich daran, dass ihr etwas Öffentliches tut und verhaltet euch entsprechend. Ein bisschen privates Gequatsche macht menschlich, ist sympathisch und ein wichtiger Faktor für langjährige Hörer, die längst eine emotionale Verbindung zu euch aufgebaut haben. Aber je mehr ihr euch auf das konzentriert, was ihr vermitteln wollt, umso besser sendet ihr für alle potenziellen Hörer.

2. Schaut auf die Uhr

Der große Vorteil des Internets ist, dass die nervigen Formatgrenzen nicht-digitaler Medien aufgehoben sind. Das heißt: Euer Podcast kann so lange dauern, wie er will, weil er niemandes Sendezeit blockiert. Es heißt aber nicht, dass ganz natürliche Richtwerte wie die menschliche Aufmerksamkeitsspanne oder die Zeit, die man pro Woche hat, um nebenher etwas zu hören, nicht mehr existieren. Achtet deswegen darauf, dass euer Podcast nicht zu lang wird. Ich persönlich finde alles bis 90 Minuten erträglich, bevorzuge aber Formate zwischen 45 und 60 Minuten. Das ist eine Zeitspanne, in der ich prima zur Arbeit pendeln, die Wohnung putzen oder eine Weile joggen/spazieren gehen kann. Wenn das ganze ab und zu länger dauert: kein Problem – ihr habt den Platz ja und manchmal braucht ihr ihn vielleicht auch. Aber wenn ihr regelmäßig mehr als zwei Stunden braucht, werdet ihr mich wahrscheinlich als Hörer verlieren.

3. Investiert in ein bisschen Klangqualität

Denkt daran, dass ihr in den unterschiedlichsten Situationen gehört werdet. Selbst mit Kopfhörern auf dem iPod kann ein zu leise ausgesteuerter Podcast, in dem alle Sprecher in hallenden Räumen sitzen und am besten noch Störgeräusche mit aufgenommen wurden, sehr sehr anstrengend werden. Von einer Wiedergabe über Lautsprechern ganz zu schweigen. Darüber hinaus wissen die im Radio schon, was sie so tun. Eine gut zu verstehende Stimme, die nah am Mikrofon ist, schafft auch emotionale Nähe. Ihr müsst ja nicht wie Vollprofis klingen, aber einigermaßen okay klingende Podcastmikrofone sind gar nicht so teuer und die Investition lohnt sich. Das eingebaute Mikro in eurem Laptop ist auf jeden Fall die falsche Wahl, zumindest nach den ersten paar Testsendungen – und ein Blick auf den Pegel des mp3 vor dem Hochladen wirkt auch manchmal Wunder.

4. Habt keine Angst, zu schneiden

Wer Texte publiziert, sieht diese in der Regel nach dem Schreiben und vor dem Veröffentlichen noch einmal durch. Nicht selten findet man dabei Formulierungen, die man lieber noch mal umstellt oder ändert. Warum sollte für Podcasts nicht das gleiche gelten? Das Aufgenommene noch einmal durchzuhören und geringfügig zu schneiden macht zwar zusätzliche Arbeit, es erhöht die Qualität aber um ein Vielfaches. Abschweifungen, von denen man hinterher feststellt, dass sie nirgendwohin führten; sich endlos ziehende Momente der Sprachlosigkeit oder Äh-äh-äh-Stammelei bei Denkaussetzern, sie alle können glücklich im Nirvana verschwinden. Es lockert zudem die Atmosphäre während der Aufnahme, wenn alle Beteiligten wissen, dass Verhaspler, Hustenanfälle und geistesabwesende Falschbehauptungen hinterher entfernt werden können. Die ganze Pointe eines Podcasts ist ja, dass er zeitunabhängig gehört werden kann, also nicht live sein muss. Nutzt es. (Hilft auch, die Längenrichtlinie einzuhalten)

5. Überrascht mich

Das schöne an regelmäßigen Podcasts ist die Vertrautheit, die man schon nach kurzer Zeit mit seinen Machern entwickelt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich die Moderatoren meiner Lieblingspodcasts mindestens so gut kenne wie gute Bekannte. Diese ewige Wiederkehr des Vertrauten alleine reicht aber nicht aus. Wenn es nach mir geht, solltet ihr eure eingeschliffenen Routinen so oft es geht durchbrechen – idealerweise durch Gäste, die zu den von euch diskutierten Themen etwas Neues beizutragen haben. Aber auch ein Ortswechsel („Heute mal vom Filmfestival XY“), ein ergänzendes Interview oder das Ausprobieren neuer Rubriken kann den Podcast beleben. Was nicht funktioniert, lässt man halt irgendwann wieder weg. Aber die Möglichkeiten sind endlos.

Meine „Referenzen“: Ich höre jede neue Folge von Radiolab, MusicWeekly, The Guardian Film Show, Scriptnotes, This American Life, PewCast und /Filmcast, ergänzt durch ausgewählte Folgen von Second Unit, The Q&A und dem Zündfunk Generator. Ich habe von jedem mir bekannten deutschen Filmpodcast mindestens eine, eher zwei bis drei Folgen gehört. Meine eigenen Podcastversuche starteten auf Festivals, haben eine Harry-Potter-Retro überlebt und einen Jahresrückblick.

Und jetzt dürft ihr mich in den Kommentaren beschimpfen.

Aus den Aufzeichnungen eines Traumatisierten

Mit meinem Faible für Fantasy und Science-Fiction in Film- und Buchform, dürfte es vermutlich die wenigsten Leser verwundern, dass ich auch dem Rollenspiel und auch dem Live-Rollenspiel (LARP – Live Action Role Playing) nicht abgeneigt bin. Ich bin alles andere als ein Hardcore-Larper, aber ich spiele konstant im Schnitt null- bis zweimal pro Jahr seit ich ungefähr 16 bin. Manchmal auf „traditionellen“ Fantasy-Larps mit 50 bis 100 Teilnehmenden, meistens aber auf kleinen, speziell gestalteten Events in dem Freundeskreis, mit dem ich seit Jahren spiele.

In der Regel bin ich nur Spieler, aber in diesem Jahr habe ich nach längerer Zeit mal wieder eine Spiel-Leitung übernommen, die mich in den vergangenen Wochen jede Menge Zeit und Nerven gekostet hat. Irgendwann ist mir aufgegangen, dass sich in einem LARP viele Aspekte wiederfinden, die ich unter dem aktuellen Buzzword „Transmedia Storytelling“ schon öfter hier im Blog gestreift habe, weil sie mich sehr interessieren – und die auch in der Filmwelt immer wichtiger werden. Ich dachte mir, es könnte von Interesse sein, ein paar meiner Erkenntnisse hier zu dokumentieren.

Unser LARP

Wer noch nie auf einem LARP war, sich aber für den Rest des Artikels interessiert, für den könnte es sich lohnen, vorher eine Einführung zu lesen. Wer so viel Zeit nicht hat, dem sei gesagt, dass LARP eine Art Mischung aus Schnitzeljagd und Improtheater ist, bei dem die Spieler in Rollen schlüpfen und gemeinsam eine Geschichte erzählen.

Mein Freundeskreis hat sich auf One-Shot-LARPs spezialisiert, bei denen zehn bis 20 Spielende und in der Regel drei Spielleitende (SLs) für ein Wochenende zusammenkommen. Die Charaktere werden – basierend auf groben Persönlichkeitswünschen der Spielenden – von der SL gestaltet. Das Spiel selbst ist in der Regel stark narrativ, wenig kampflastig und kommt mit minimalen Regeln aus.

Vor dem diesjährigen Event stand der Wunsch, ein LARP vor dem Hintergrund des kalten Krieges und der Atombomben-Angst der 80er Jahre zu machen. Die 80er sind lang genug her, dass sich die meisten von uns nur noch vage daran erinnern können, sie lassen sich aber durch ihre hinterlassene Popkultur und die diversen Revivals gut zuspitzen und bieten genug technologische Einschränkungen, um die für ein LARP so wichtige Isolation der Spieler herzustellen.

Der Plot

Das hier ist der Plot des LARPs, wie wir SLs ihn vor dem Spiel konzipiert hatten:

Seit sieben Jahrhunderten schon beobachtet eine Alien-Rasse die Erde als möglichen Planeten für eine Invasion und anschließende Besiedelung. Sie warten auf den richtigen Zeitpunkt, an dem die Atmosphäre und die aufgebaute Infrastruktur ein Leben auf der Erde sinnvoll erscheinen lässt. Dafür haben die Aliens im bayerischen Odenwald einen Signalsender versteckt, allerdings muss dieser in regelmäßigen Abständen händisch gewartet werden. Die Besuche der Aliens zur Wartung des Senders wurden im 14. Jahrhundert als Heiligenerscheinungen gedeutet und haben das Waldstück zu einem nicht offiziell anerkannten Pilgerort gemacht – doch jeder, der sich der Strahlung zu lange aussetzt, wird erst verrückt und stirbt dann einen grausamen Tod. Mit Beginn des Atomzeitalters wurde die besondere Strahlensignatur des Senders auch in anderen Kontexten wahrgenommen. Die Nazis hatten dort, wo heute eine Pilgerherberge ist, eine Forschungsstation – deren Mitglieder sich jedoch irgendwann gegenseitig zerfleischten. In den 1960ern hatte der Luft- und Raumfahrtkonzern Rockwell-Collins eine Expedition vor Ort, die jedoch ähnlich tragisch endete. Im Herbst 1982, die Wartung steht unmittelbar bevor, treffen in der Pilgerherberge drei Wissenschaftler, drei Esoterik/Ufologie-Autorinnen und drei Rockwell-Collins-Leute sowohl auf den einzigen Überlebenden der Expedition aus den 60ern, als auch auf die Alien-Bedrohung selbst. Können sie den Sender rechtzeitig deaktivieren, bevor die Erde der Alien-Invasion zum Opfer fällt?

Unnötig zu sagen, wahrscheinlich, dass die Spieler die Aufgabe natürlich gemeistert haben – auch wenn sie, wie üblich, vorher diverse Abwege beschreiten mussten. Die Invasion der Erde jedenfalls wurde verhindert.

Wie aber funktioniert das Ganze als immersives Transmedia Storytelling? Wenn man mal an das Transmedia Manifest denkt, möchte ich zwei Aspekte herausheben: Die unterschiedlichen Zugänge zur Geschichte und die tatsächliche Transmedialität, das heißt das Arbeiten mit verschiedenen Medien, um die Geschichte zu erzählen.

(Wer sich nicht so stark für die Details und eher für die allgemeine These interessiert, kann direkt zur Überschrift „Conclusio“ springen.)

Rabbit Holes

Da wir die Charaktere vorkonzipiert hatten und es eine umfangreiche und vielschichtige Vorgeschichte an Ereignissen gab, die auf die geplanten Ereignisse des eigentlichen Spielwochenendes zuliefen, war es uns möglich, für neun verschiedene Spieler neun verschiedene Eintrittspunkte in den Plot zu schaffen – meiner Ansicht nach bei regulären LARPs, wo die Spieler ihre Charaktere mitbringen, häufig einer der holprigsten Punkte in Sachen narrativer Stringenz. Um alles etwas zu vereinfachen und den Spielern etwas Sicherheit für den Einstieg zu geben (wir hatten auch mehrere Erstspieler in der Gruppe), fassten wir die Spieler zu drei Gruppen zusammen:

Die Spiritistinnen – drei Spielerinnen verkörperten New-Age-Autorinnen unterschiedlichster Prägung, die von ihrem Verlag zusammengebracht wurden, um als eine Art „Dream Team“ der New-Age-Literatur probeweise ein bestimmtes Phänomen zu untersuchen. Sie reisen also mit dem Ziel an, ihre bisher vertretenen Theorien an einer neuen Stelle zu testen, müssen sowohl zusammenarbeiten, als auch sich voneinander abgrenzen. Wir entschieden, dass in unserem Story-Universum Geister tatsächlich existieren, so dass die drei auch etwas zu tun bekommen würden.

Die Wissenschaftler – drei Spieler wurden zu Wissenschaftlern der Uni Frankfurt. Einer von ihnen ist Astronom mit Neigung zur Astrologie, der die anderen beiden mitgeschleift hat, die ihm wiederum aus unterschiedlichen Motivationen folgen. Sie wollen die Strahlungsdaten des Ortes mit wissenschaftlichen Methoden untersuchen. (Die typische Geschlechterverteilung Wissenschaftler – Autorinnen ist übrigens nicht unseren Berufsklischees geschuldet, sondern den uns bekannten thematischen Vorlieben der Spielenden.)

Der Konzern – Zwei Spielerinnen und ein Spieler spielen Mitarbeiter der gehemeien Rüstungsabteilung des Luft- und Raumfahrtkonzerns Rockwell Collins, die als Wandergruppe getarnt herausfinden sollen, ob es ein natürliches Uranvorkommen vor Ort gibt. Sie wissen als einzigeBbescheid, dass es schon einmal eine Exkursion gab und dass diese gescheitert ist.

Für alle drei Gruppen gibt es also unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel. Jede Gruppe bringt ein eigenes skill set mit – und nur in der Kombination aller Fertigkeiten lässt sich das Rätsel im Kern des Plots – Was ist der Signalsender? Wo ist der Signalsender? Wie schalten wir ihn ab? – optimal vorantreiben. Fantasy-LARPs sind häufig ähnlich strukturiert, fassen die Gruppen aber gröber: die Kämpfer müssen Feinde besiegen, die Magier ein Ritual abhalten etc. Für uns war es essenziell, dass jeder Spieler eine Möglichkeit haben sollte, seinen spezifischen Hintergrund, sein durchquertes Kaninchenloch, auszuspielen. Die Spiritistinnen mussten einen Geist beschwören, die Wissenschaftler mit vereinten Kräften ein Gerät bauen, dass sie zu einem Hinweis führte und die Konzernmitarbeiter mussten die Interessen ihres Arbeitgebers wahren und nicht entdeckt werden (was ihnen auch gelang).

Kein Methlab, sondern Zutaten zum Herstellen von „Batteriesäure“

Quer durch die Medien

Ein großer Vorteil des 80er-Jahre-Settings in der Konzeption war für uns, dass wir von vornherein wussten, dass wir mit vielen verschiedenen Medien würden arbeiten können und nicht nur – wie sonst häufig der Fall – mit Textdokumenten. Am Ende reichte leider die Zeit nicht, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, aber auch so konnten wir einiges ausprobieren.

So habe ich beispielsweise für den ersten Abend eine einstündige Radiosendung konzipiert, die die Spieler in das Story-Universum möglichst effektiv einführen sollte. Es fällt schließlich nicht immer ganz leicht, sich vorzustellen, dass man 1982 spielt, wenn man bis vor wenigen Stunden noch 2013 gelebt hat. Die Radiosendung bestand aus einem Nachrichtenblock und einem 50-minütigen Musikprogramm, in dem immer wieder ein DJ dazwischenquatscht. Die Nachrichten waren nicht die echten Nachrichten aus dem Oktober 1982, ich hatte sie vielmehr ungefähr so formuliert, dass sie die bisherigen Ereignisse des Jahres (Falkland-Krieg, Koalitionsbruch etc.) einigermaßen zusammenfassten, um die Spieler zu erinnern, was alles so passiert ist. Die Musik setzte natürlich stark auf die Musik der Zeit. Eingesprochen wurde mir das ganze freundlicherweise von meinem ehemaligen Podcast-Gast Aileen Pinkert und ihrem Kollegen Sebastian Brandt, die Bürgerradio in Thüringen machen.

Am morgen des zweiten Tages ist das Radio auf eine Dauerschleife gesprungen, die immer wieder die gleiche Nachricht wiederholt: eine Atombombe ist in Deutschland explodiert. In Wirklichkeit ist diese Nachricht von den Aliens synthetisiert woden. Sie wollen, dass die Menschen ängstlich in ihren Häusern bleiben. Daher sind jede Menge inhaltliche Fehler im Text.


Auch das Medium Video kam zum Einsatz. Bei einer Begehung des Geländes, während der wir die Schnitzeljagdpunkte für die Suche nach dem Signalsender festlegten, ließ ich fleißig das iPhone mitlaufen und baute daraus zu Hause einen kurzen Film mit jeder Menge (vielleicht zu viel?) Verfremdungseffekten und einem Soundteppich. Das Video wurde in der ersten Nacht des Spiels als Traum eingesetzt und sollte bei den Spielern allgemein ein ungutes Gefühl über die Präsenz an diesem Ort hervorrufen.

Schließlich gab es noch eine Menge textbasierte Dokumente, die die Spieler im Laufe des Spiels finden, und aus denen sie sich die Hintergrundgeschichte zusammenpuzzlen können. Dazu gehörten das Tagebuch des Traumatisierten von 1961 (eine sehr typische LARP-Dokumentform), aber auch ein Dossier mit Unterlagen aus dem Firmenarchiv von Rockwell-Collins, eine Broschüre zur Pilgerherberge, Geheimdienst-Communiqués, vor dem Haus aufgehängte Pilger-Plaketten, Zeilen aus den Gedichten eines örtlichen Heimatdichters und eine Kurzgeschichte zur Traumabewältigung, die der Traumatisierte im Auftrag einer Psychologin geschrieben hatte. Alle Texte verwiesen sowohl auf konkret für den Plot wichtige Fakten, strickten aber auch diverse weitere Infos und Querverweise mit ein, die wenig direkte Relevanz hatten, aber die gesamte Tragweite des Storyuniversums andeuteten.

Wir hatten uns selten zuvor einen solchen Aufwand mit dem gemacht, was wir – übertragen aus dem Tischrollenspiel-Jargon – intern „Handouts“ nennen: also Storyinformationen nicht in Form von Begegnungen mit Charakteren oder Ereignissen sondern in verschiedenen Medien aufbereitete „Texte“. Der Grund ist, dass es ziemlich aufwändig ist, all diese Texte zu konzipieren und zu schreiben. Das Ergebnis aber, bei meiner Vorliebe für Operationale Ästhetik sowieso, ist so dankbar und irgendwie abgefahren, dass sich der Aufwand im Nachhinein auf jeden Fall gelohnt hat.

Conclusio: Was fehlt?

Wenn man sich die Thesen des Transmedia-Manifests anschaut, sieht man, dass ein gut gemachtes LARP fast alle davon erfüllt. Interaktivität, unterschiedliche Zugänge, Erweiterbarkeit und Locationbasiertheit sind alle vorhanden. Da es in Deutschland eine dichte und lebendige LARP-Kultur gibt, könnte man also auch guten Gewissens behaupten, dass dort ein großes ungenutztes Potenzial an Transmedia-Storytellern darauf wartet, angezapft zu werden.

Was allerdings fehlt, ist der Zugang für Außenstehende. Es gibt keine Haupterzählung, die sich in lean back-Haltung konsumieren lässt und dennoch Unterhaltung bietet. LARP bedeutet in der Regel: Wer Teil des Ganzen sein will, muss miterzählen, Teil des Spiels werden.

Dass das jedoch kein absoluter Imperativ ist, haben bisherige Projekte bewiesen. ARTE etwa ließ das Ende eines Films per LARP improvisieren. Aber es wäre auch denkbar, dass LARPs fester und regelmäßiger Bestandteil eines Transmedia-Gesamtkonstrukts werden, in dem die Handlungen der Spieler sogar indirekte Auswirkungen auf die Fortsetzung einer Haupterzählung haben – ein ähnliches Prinzip, wie es im Endeffekt bei MMORPGs wie „World of Warcraft“ der Fall ist.

LARP ist Transmedia-Storytelling in Reinform. Jetzt muss es nur noch genutzt werden.

© Pandora Film

Waltz with Bashir

Mir wurden – wie wahrscheinlich einer Menge anderer Menschen – vor fünf Jahren auf neue Art die Augen geöffnet. In Waltz with Bashir verarbeitet Regisseur Ari Folman sein Trauma aus dem Libanonkrieg auf ungewöhnliche Weise. Er mischt Gespräche mit alten Weggefährten mit ihren und seinen Erinnerungen, und weil es gerade für die Erinnerungen kein Bildmaterial gibt, ist der ganze Film animiert. Die Animation erlaubt es Folman, aus realen Begebenheiten, Eindrücken, Träumen und Wahnvorstellungen ein stimmungsvolles Gesamtkunstwerk zu schaffen, das tief sitzende Wahrheiten zutage fördert. Waltz with Bashir ist kein Spielfilm, es geht nicht um eine dramatische Nacherzählung eines realen Ereignisses wie etwa in United 93, er ist im Grunde ein Dokumentarfilm. Aber er ist auch animiert.

Folman brachte eine Filmgattung an die breite Öffentlichkeit, die es eigentlich schon lange gibt, nur eben nicht in diesem Ausmaß, den animierten Dokumentarfilm, kurz: AnimaDok. Wenn man es genau bedenkt hat die Animation immer schon ihren Platz im Dokumentarischen gehabt, man denke an Propagandafilme aus dem Zweiten Weltkrieg, an Grafiken in naturwissenschaftlichen Dokus und an Produktionen wie „Walking with Dinosaurs“. Seit dem Bashir-Knall aber versuchen auch immer wieder Filmemacher, sich damit größeren dokumentarischen Subjekten zu nähern.

Die Expertin

Annegret Richter kennt sich mit dem Thema animierte Dokumentarfilme perfekt aus. Sie ist Bereichleiterin Animationsfilm beim Festival DOK Leipzig, das dieses Jahr einen Preis für den besten animierten Dokumentarfilm ins Leben gerufen hat, und auch ihre Dissertation widmet sich dem Thema. Als ich anfing, über das Thema für einen Blogeintrag nachzudenken, habe ich ihr ein paar Fragen per E-Mail geschickt, die sie freundlicherweise beantwortet hat.

© DOK Leipzig

Annegret Richter

Das Absurde am animierten Dokumentarfilm ist ja eigentlich, dass die beiden Filmgattungen einander unähnlicher nicht sein könnten. Der Dokumentarfilm versucht, in bester Bazinscher Manier, Ungeplantes einzufangen – hingegen gibt es kaum etwas, was mehr sorgfältiger Planung bedarf, als ein Animationsfilm. Doch den Gegensatz lässt Annegret Richter nicht gelten.

„Der Ansatz beim animierten Dokumentarfilm ist ein anderer. Denn es handelt sich hier oft um Dokumentarfilme, die Themen bearbeiten, bei denen man nicht ausschließlich reale Bilder verwenden kann. Animation wird dann benutzt, wenn man Erinnerungen, historische Momente oder psychologische Aspekte aufzeigen will oder wenn die Protagonisten geschützt werden müssen. Durch den puren Gebrauch der Animation und die Wahl der jeweiligen Ästhetik kann außerdem eine zusätzliche Ebene der Erzählung – eine Art Subtext – geschaffen werden, der sich nur dadurch und rein visuell erschließt. Deshalb können sich Dokumentarfilm und Animationsfilm sehr gut ergänzen, aber nicht jeder Dokumentarfilm braucht Animation und umgekehrt.“

Drei Beispiele

Die animierten Dok-Langfilme, die mir in den letzten Jahren über den Weg gelaufen sind, gehen unterschiedliche Wege in dieser Hinsicht. Couleur de Peau: Miel etwa, in dem der Cartoonist Jung seine Kindheit als koreanisches Adoptivkind in Belgien reflektiert (und die wir dieses Frühjahr in 3sat gezeigt haben), wird in seinen animierten Szenen eigentlich zum fiktionalisierten Film, mit geskripteten Dialogen, die von Sprechern gelesen werden. Und doch basiert der Film auf den Erinnerungen seines Protagonisten, spiegelt dessen Zeichenstil wieder und bemüht sich (im Gegensatz etwa zu Persepolis) um einen gewissen Naturalismus.

Pequeñas Voces, eine Aufarbeitung von Kindersoldaten-Schicksalen in Kolumbien, versucht, Authentizität in die Künstlichkeit zu retten, indem er Elemente aus Kinderzeichnungen in seine animierten Sequenzen einbaut. Leider wirken dadurch alle anderen Figuren und Umgebungen umso künstlicher, eine idealisierte Version von Kinderzeichnungen, die den bewegenden Schicksalen mit ihrem Kitschfaktor den Punch raubt. A Liar’s Autobiography schließlich, die animierte Fassung des Lebens von Python-Frontmann Graham Chapman, die ich gerade in „Close up“ besprochen habe, weist ja schon im Titel auf seine Mischung aus Fakt und Fiktion hin. Doch der Film basiert auf dem realen Leben von Chapman und seine Stimme trägt den Film. Aus den Aufnahmen spricht das Dokumentarische des Films, selbst wenn alles andere um sie herum in Phantasterei explodiert.

© Senator

A Liar’s Autobiography

Das Post-Bashir-Zeitalter

Annegret Richter stimmt mir zu, als ich sie frage, ob Waltz with Bashir in Sachen AnimaDok einige Schleusentore geöffnet hat.

„Vor 2008 haben selbst Leute aus dem Filmgeschäft irritiert geschaut, wenn wir von animierten Dokumentarfilmen gesprochen haben. Es gab nur eine kleine Gruppe von Filmwissenschaftlern und Filmemachern weltweit, die sich ernsthaft damit auseinander gesetzt haben. Durch den Erfolg von „Walz with Bashir „ist die Wahrnehmung in der breiten Öffentlichkeit größer geworden und Produzenten haben sich plötzlich dafür interessiert. Aber es ist spürbar, dass im Dokumentarfilmbereich gerade ein Ausloten der Gattungsgrenzen und natürlich auch das Überschreiten dieser Grenzen ein Thema sind. Es ist sehr erfrischend, Filme zu sehen, die vor einigen Jahren so nie hätten gemacht werden können. Oft sind das dann Arbeiten von jungen Regisseuren, die weniger Berührungsängste haben und bei ihren Projekten sowieso schon in Cross Genre / Cross Media denken.“

Dass sich im Dokumentarfilm derzeit einiges bewegt, ist allerorten zu spüren. Selbst in den USA wird das Thema dieses Jahr immer wieder aufs Tapet gebracht, auch dank Filmen wie The Act of Killing und Leviathan (die ich beide noch nicht gesehen habe). Was den animierten Dokumentarfilm angeht, sagt Annegret Richter trotzdem:

Aber eigentlich ist das alles nicht neu und aus diesem Grund haben wir in diesem Jahr die Einführung der Goldenen Taube für den besten animierten Dokumentarfilm auch mit dem Sonderprogramm „Film Unlimited – Grierson, McLaren und die Anfänge von Animadok“ flankiert. Wir haben dafür Filme ausgewählt, die unserer Meinung nach zeigen, dass bereits ab den 1930er Jahren in England und Kanada viele bekannte Filmemacher jenseits der Gattungsbegriffe von Dokumentar- und Animationsfilm ihre Filmthemen umsetzten und dabei eine visuelle Experimentierfreudigkeit und Fantasie an den Tag legten, wie sie heute kaum noch zu finden ist.

Bei DOK Leipzig, ein Festival, das ja sowieso Dokumentar- und Animationsfilme zeigt (und sich deswegen als ein gutes Zuhause für den weltweit ersten AnimaDok-Preis begreift), sind animierte Dokumentarfilme (meist in ihrer kurzen Form) schon seit 17 Jahren ein Thema.

Seit einigen Jahren fordern wir Filmemacher aktiv auf, ihre animierten Dokumentarfilme bei uns einzureichen und viele haben bereits Preise beim Festival gewonnen, aber jeweils in unserer bisherigen Festivalkategorien (z.B. „Tying your own Shoes“ von Shira Avni aus Kanada, gewann 2009 die Goldene Taube für den besten kurzen Dokumentarfilm im Internationalen Wettbewerb, „Father“, ein Film aus Deutschland, gewann 2012 im Internationalen Wettbewerb Animationsfilm die Goldene Taube, etc.) Das zeigt, dass Filmemacher aus beiden Bereichen sich mittlerweile sehr intensiv mit den Möglichkeiten dieser Hybridform auseinandersetzen. Wobei man sagen muss, dass im Animationsbereich schon immer sehr offen mit dem Dokumentarischen umgegangen wurde, und es deshalb seit Anbeginn des Filmschaffens animierte Dokumentarfilme aus der Animation heraus gab.

© Gebeka Films

Couleur de Peau: Miel

Ein offener Begriff

Diese Offenheit bedeutet jedoch auch, dass der Begriff „animierter Dokumentarfilm“ weit gefasst werden kann. Er ist „noch nicht definiert“ meint Annegret Richter, und das sei auch gut so.

Denn auch bei DOK Leipzig reicht die Bandbreite der Filme, die wir unter dem Begriff zusammenfassen von Dokumentarfilm mit geringem Animationsanteil bis zum 100% animierten Film. Denn der Begriff lässt sich nicht an der Menge an Animationssequenzen festmachen, sondern daran, welche inhaltliche Bedeutung die Animation bzw. das Dokumentarische im Film einnimmt. Es geht ja auch immer um ein Gefühl das beim Publikum erzeugt wird und das im besten Falle Authentizität vermittelt.

Insgesamt jedenfalls stehen alle Zeichen auf Hybridität. „Ich denke, dass Animadok-Filme, aber auch andere hybride Mischformen immer mehr an Bedeutung gewinnen und gerade für die Vernetzung von Film mit Games und Internet eine große und wichtige Rolle spielen werden.“ Sind nicht „Let’s Play“-Videos im Grunde auch animierte Dokumentarfilme? Was ist der Unterschied zwischen einem mit Xtranormal umgesetzten Abschrift eines Gerichtsprotokolls und einem Film wie Chacago 10? Scheint, als stünde uns in diesem Bereich noch eine sehr interessante Zukunft bevor.


DOK Leipzig beginnt am 28. Oktober.

© Sebastian Lorenz

Zuerst einmal: Markus Rohde sieht in Farbe und 3D ganz anders aus als auf dem Bild, das in jeder Ausgabe die erste Seite schmückt. Er wirkt jünger, schlanker und tatsächlich auch ein bisschen nerdiger als sein gravitätisches editoriales Ich. Letzteres mag daran liegen, dass die rot umrandete Brille von Angesicht zu Angesicht anders strahlt. Vielleicht auch daran, dass natürlich ein „Star Trek“-T-Shirt unter seinem karierten Hemd hervorlugt, als ich mich an einem warmen Mainzer Nachmittag zu ihm und seinem Redakteur Christian Humberg an den Tisch setze. Für einen Chefredakteur, dessen Name seit kurzem auch einen eigenen Verlag schmückt, könnte das in jedem anderen Zusammenhang schräg wirken. Andererseits heißt die Zeitschrift, die er leitet, ja auch „Geek!“

„Ich kann echt nicht meckern“, sagt er, auf den Erfolg dieser Zeitschrift angesprochen. In Zeiten, in denen immer mehr Gedrucktes den Dinosauriern in den dauerhaften Tod folgt, ist in Nischen noch Platz für Wachstum. Seit seinem Debüt auf der FedCon 2012, vor einem guten Jahr, hat das Sci-Fi-Fantasy-Film-Serien-Comic-Bücher-Magazin sogar an Auflage zugelegt. Das Experiment, das der Panini-Verlag zunächst auf ein Jahr angelegt hatte, wurde inzwischen auf unbestimmte Zeit verlängert. Wenn man Markus Glauben schenken darf, ist „Geek!“ sogar der Liebling der Anzeigenkunden.

Lernen aus der „SpaceView“

Bevor er Chefredakteur der „Geek!“ wurde, stand Markus Rohde schon einmal an der Spitze einer Zeitschrift. Die „Space View“ war um die Jahrtausendwende noch eins der wichtigsten Organe des Science-Fiction-Fandoms in Deutschland, verwässerte aber zusehends in Konzept und Fokus und wurde Ende 2011 schließlich eingestellt. Am Anfang von „Geek!“ habe auch die Frage „Was können wir aus der ‚SpaceView‘ lernen?“ gestanden, sagt Markus. Man entschied sich, das Themenspektrum offener, die Ansprache aber gezielter zu formulieren. „Geek!“ gibt sich nicht nur mit Science-Fiction zufrieden, versucht aber auch eindeutig nicht, ein Massenpublikum zu erreichen.

Die „Szene“, die er ansprechen will, sei „nicht homogen“, sagt Markus. Filmfans, Computerspielerinnen, LARPer, Online-Rollenspielerinnen, Romanverschlinger und Serienjunkies gehören alle irgendwie dazu. Das sei im Zeitschriftenmarkt schwer zu fassen und man müsse sich immer wieder die Frage stellen: „An wen wendet man sich wirklich?“

So bunt wie möglich

Die Lösung? „Wir versuchen jetzt so bunt wie möglich zu sein.“ Ziel sei es, dass ein Artikel die Leserin auch mal nicht in ihren Kerninteressen trifft, dafür aber ein anderer umso mehr. „Umgekehrt kann der erste Artikel aber trotzdem Interesse wecken, so dass sie vielleicht einfach mal reinliest in die Sache.“ Ansonsten sei es aber auch das Schöne, dass man sich in vielen Bereichen austoben könne.

Den Ausgleich zur thematischen Vielfalt bietet der Ton des Magazins. „Wir sind ein Fachblatt“, sagt Markus ganz klar, „wie die ‚Welt der Wissenschaft‘ oder der ‚Kicker‘. Und der ‚Kicker‘ erklärt auch nicht jedem Artikel neu, wie Abseits funktioniert.“ „Geek!“ setzt auf Expertenwissen und Interesse an den detaillierteren Aspekten eines Themas. Der ideale Leser sei das, was man als den „fortgeschrittenen Fan“ bezeichnen könne. Jemand, der sich mit seinem speziellen Fandom schon länger und intensiver auseinandergesetzt hat, aber auch offen dafür ist, über den Tellerrand zu blicken. „Er sollte auch schon mal einen Film aus den Siebzigern gesehen haben oder zumindest wissen, dass es da was gibt. Oder von Méliès‘ Reise zum Mond mal gehört haben, auch wenn er ihn vielleicht nicht gesehen hat.“

Verbesserte Infrastruktur

Ist die Fan-Szene denn heute anders als noch vor zehn oder zwanzig Jahren? „Mitte der 90er ist einiges in der Fandom-Kultur passiert, weil sich die Infrastruktur verbessert hat. Man kann die Leute heute viel besser erreichen. Früher war man Rollenspieler, konnte den Leuten in seinem Gymnasium davon erzählen, dann konnten die damit nichts anfangen.“ Ich nicke eifrig. „Dann gab’s vielleicht noch irgendwelche Clubs, die man über Briefe erreichen konnte – dieses Sich-Zusammenschließen war viel schwieriger. Heute kann man sich alles viel besser zusammenstellen aus den Interessen, die man hat.“

Damit meine er aber nicht nur das Internet. „Es gibt auch generell eine gewisse Professionalisierung. Bei ein paar alten Recken ruft es zwar manchmal Naserümpfen hervor, dass jemand wie Dirk Bartholomä etwa mit FedCon und RingCon auch Geld verdient, in Veranstaltungen mit zigtausend Leuten. Trotzdem ist er Fan und kommt aus dieser Fan-Ecke und macht das aus Leidenschaft. Der sitzt abends auf den Partys, die Schauspieler um ihn rum, und er hat ein Glitzern in den Augen.“

Aus derselben Motivation funktioniert auch die „Geek!“ und die Person Markus Rohde. „Ich mache diese ganzen Sachen beruflich, aber auch aus der Leidenschaft heraus, aus dem Fantum heraus. Deswegen habe ich auch schon Anfeindungen bekommen: Ich könnte mich ja zu Star Trek-Romanen eh nicht mehr äußern, weil ich die jetzt beruflich produziere.“ Markus ist auch Lektor und Übersetzer beim Verlag Cross Cult. „Das ist aber auch daraus erwachsen, dass ich damals in den 90ern immer als erster im Laden stand und sie gekauft habe.“

Professionelle Fans

Markus, der irgendwann mal Germanistik und Philosophie studiert, das Studium aber nie abgeschlossen hat, steht gewissermaßen an exponierter Stelle inmitten einer Gruppe von „professionellen Fans“, die sich auch alle gegenseitig kennen und füreinander arbeiten. Wer für „Geek!“ schreibt, ist immer nur auch Journalist und außerdem in der Regel Autorin, Übersetzer oder Lektorin von Comics und Genreromanen. „Es sind doch immer wieder dieselben, über die man stolpert in der ganzen Szene“, meint Markus. „Einmal in dem Sinne, dass zuverlässige Leute, die ordentliches Zeug abliefern immer wieder dieselben sind. Und weil es eben die Szene ist, die alles macht. Die Romane schreibt, Sachbücher schreibt und sich einfach auskennt.“ Im SciFi/Fantasy-Segment müsse man Allrounder sein und „wie ein Krake zig Sachen am Laufen halten.“ Christian Humberg, der nach wie vor am Tisch sitzt, stimmt zu. Er ist ein klassischer Fall.

Die Überschaubarkeit der Szene führt auch dazu, dass „Geek!“, wie inzwischen wahrscheinlich mindestens zwei Drittel aller Zeitschriften, keine Redaktion als solche hat. Markus sitzt in Sankt Augustin, sein Team ist über die gesamte Republik verstreut. Die Zeitschrift wird online und per Telefon zusammengesetzt – in E-Mails, Gesprächen und Facebook-Chats. Selbst das Layout wird ohne anwesenden Redakteur in Ludwigsburg gesetzt. Nur alle paar Ausgaben trifft man sich mal persönlich. Der Chefredakteur vermisst nichts. „Wenn man drei Büros auseinandersitzt, ist man auch nicht viel schneller.“

Kein Fanzine?

Doch obwohl die Profi-Fans bei „Geek!“ am Ruder sitzen und die Verquickung mit den Verlagen, über deren Produkte das Magazin berichtet, mannigfaltig ist, betont Markus, dass die Zeitschrift nicht nur ein besonders buntes Fanzine ist. Schlechte Produkte würden auch verrissen, Anzeigenkunden hin oder her. Die Schwierigkeit liegt für alle darin, die Leidenschaft zu bewahren, aber nicht in die Verklärung abzudriften. „Mit Leuten, die das nicht können, kann ich nicht längerfristig zusammenarbeiten“, sagt Markus. Er habe sich aus diesem Grund auch schon von Autoren trennen müssen.

Doch nicht nur die Autoren sind Teil des Problems, auch die Leser können ein Hindernis sein. So würde immer wieder diskutiert, ob man es sich leisten könne, Fans zu verprellen, weil man ihre Lieblinge kritisiert. Doch die Linie ist klar: „Das muss sein, sonst macht man sich unglaubwürdig.“ Und schließlich gehört das leidenschaftliche Diskutieren über die Qualität eines bestimmten Kulturprodukts ja auch zu den Pfeilern des Geek-Daseins. „Das sollte eigentlich noch viel viel stärker der Fall sein, dass es noch nerdiger, noch geekiger ist“, sagt Markus.

Weil’s geil ist

Die pressierendste Frage habe ich mir für den Schluss aufgehoben. Warum, beim Barte von Spocks bösem Zwilling, erscheint ausgerechnet eine Science-Fiction-Zeitschrift – egal wie erfolgreich – noch immer als zweimonatliches, gedrucktes Heft? Die Antwort ist eigentlich wenig überraschend und kommt aus den tiefsten Tiefen des versteckten Konservatismus, der die SF/Fantasy-Szene mit ihren fantastischen Legendenwelten schon immer im Herzen regiert – im Gegensatz etwa zur Lebenswelt der Tech-Geeks: „Weil’s geil ist!“

Echt, das ist der Grund? „Das ist der Grund. Wir alle machen das nicht nur als Job, um Geld zu verdienen oder weil wir uns zu den Themen nirgendwo anders äußern könnten, das könnten wir ja. Aber wir sind alle überzeugte Print-Leute, die es cool finden, ein Heft in den Händen zu haben und es am Strand oder auf der Toilette zu lesen. Und das sagen wir als diejenigen, die auch im Internet unterwegs sind. Es ist kein Massenmarkt mehr, aber es gibt noch Leute, die es haben wollen. Und es ist redaktionell zusammengestellt und ich lese vielleicht auch mal Dinge, an die ich selber nicht gedacht hätte.“

Das erklärt auch, warum hinter der URL geek-mag.de eigentlich keine richtige Website steht. Man wollte lieber ein gutes Heft machen und „nichts Halbes“ im Netz. Das bevorzugte Netz-Organ der „Geek!“-Gemeinde ist das Onlineportal „Robots and Dragons“. Die Impressumslisten der beiden Medien teilen sich eine Menge Namen.

96 Seiten sind nicht genug

Eine Veränderung dieser Taktik ist für die Zukunft auch vorerst nicht angedacht. Stattdessen erhofft Markus sich irgendwann mehr nicht-virtuelle Seiten zum Bedrucken. Denn inzwischen hat jede Ausgabe ein gewisses Spektrum an Filmen, Serien, Comics und Romanen, das abgedeckt werden muss und Werbekunden anzieht. Bei 96 Seiten bleibt häufig wenig Platz für die Kür, vor allem wenn große Geek-Ereignisse anstehen, wie etwa ein neuer Star-Trek-Film. Mit mehr Papier könnte nicht nur das enge Layout etwas luftiger werden, auch die „würzenden Artikel“, wir Markus sie nennt, könnten mehr Raum bekommen.

Science-Fiction könnte man gemeinhin als die Fortschreibung aktueller, gesellschaftlicher Tendenzen in einem fantastischen zukünftigen Kontext beschreiben. Was also wünscht sich der Chefredakteur eines in seiner Nische erfreulich erfolgreichen gedruckten Science-Fiction-Magazins für die Zukunft? Eine Revolution? Einen großen Sprung nach vorne? Nein. Die erste Antwort, die dem „Kraken“ Markus Rohde über die Lippen kommt, sagt dann doch, und das denke ich mir wertfrei – ohne Gehässigkeit oder übeflüssiges Mitleid, alles aus über den Zustand einer geschüttelten Branche und eines Kultursegments, das in den letzten zehn Jahren ohne viel eigenes Zutun von den Kellerkind-Tiefen in die Strudel des Mainstreams gespült wurde. „Beständigkeit.“

Ausgabe 8 von „Geek!“ erscheint am 20. August 2013.

© Disney

Dies ist der 401. Beitrag auf „Real Virtuality“. Und was könnte es besseres geben, um das Überschreiten einer solch historischen Marke zu feiern, als den ersten Beitrag in einer zukünftigen, losen Reihe zu verfassen, die sich mit Themen befassen wird, die in diesem Blog (aus dem einen oder anderen Grund) nie zustande kamen.

„Real Virtuality“ besteht ja hauptsächlich aus Meinungsbeiträgen, aber immer mal wieder habe ich den Anspruch an mich selbst, etwas zu verfassen, was auch journalistischen Ansprüchen genügt. Eine der einfachsten Möglichkeiten, das zu erreichen, ist es, ein Interview zu führen. Im April hatte ich gerade das eBook von John Carter and the Ghosts of Hollywood gelesen, in dem Autor Michael Sellers nicht immer perfekt, aber doch sehr interessant und mit viel Hingabe die Art und Weise beschreibt, wie Disneys Marketingabteilung den Film John Carter versenkte – und wie die Fans mit Sellers als Speerspitze versuchten, das Ruder noch im letzten Moment herumzureißen.

Das Narrativ

Das Buch ist aufgrund seines sehr speziellen Themas eigentlich nur interessant, wenn man sich für Filmmarketing interessiert. Dort scheint es vor allem darum zu gehen, im Vornherein ein „Narrativ“ des Films aufzubauen, was dann von den Medien und Publikum angenommen wird. World War Z ist ein jüngeres Beispiel eines Films, der ein Negativ-Narrativ umdrehen konnte. John Carter ist dieses Kunststück nicht gelungen.

Mein Plan war es, das Buch in zwei Absätzen zu rezensieren, als Mehrwert aber ein Interviw mit Sellers zu führen, in dem er das Buch noch einmal reflektiert. Anderen war das auch gelungen, und schließlich ist Sellers ja auch ein Fan und Blogger – seine Bereitschaft erschien mir also plausibel. Auf ein erstes Anschreiben antwortete er dann auch recht positiv und sehr freundlich, er würde sich gerne interviewen lassen. Ich schrieb ihm zurück, dass ich mich auch freuen würde und dass bald Fragen per Mail folgen würden. Er bestätigte mir das. Und einen Tag später schickte ich ihm die Fragen.

(Bitte hier Grillenzirpen einspielen)

Der verschwundene Autor

Ich habe nie wieder etwas von Michael Sellers gehört. Ein paar Tage später habe ich kurz nachgefragt, ob er die Mail erhalten hat. Dann ein paar Wochen später noch einmal – fragend, ob ich ihn irgendwie beleidigt hätte ohne es zu wissen. Ich habe auch auf Twitter versucht, ihn anzufunken, falls meine Mail im Spam gelandet ist. Aber Sellers schweigt. Ich weiß nicht warum (krank oder tot scheint er nicht zu sein, er schreibt noch). Und ich finde es sehr schade, denn seine Antworten hätten mich sehr interessiert. Und deswegen ist John Carter and the Ghosts of Hollywood bis heute in diesem Blog nicht aufgetaucht, obwohl es zu den restlichen Themen des Blogs perfekt gepasst hätte.

Hier sind die Fragen, die ich ihm geschickt hatte. Auf die sich meine werten Leser nun selber Antworten ausdenken können. Wenn jemand etwas beleidigendes auffällt, was ich übersehen habe (abgesehen davon, dass ich zugebe, dass ich John Carter nicht perfekt fand), bitte ich um Mitteilung.

You paid close attention to and even had a hand in the buildup to „John Carter“ last year. What made you want to put your story into book form?

Was it clear to you from the start that you would start the book as an observer without any involvement and then suddenly insert yourself into the „story“ almost like a second-act-twist?

Have you heard back from any of the people involved in the film since your book came out? Has Disney ever stirred?

You’re very methodical in dissecting everything that went wrong with the making and the marketing of „John Carter“, but you’re careful to not actually place any blame on individuals. Did your own feelings ever differ from your written account?

Marketing and production flukes aside – how happy are you with what actually ended up on screen? I have to say that I have sympathies for it and I quite enjoyed myself in the cinema, but all in all, I had expected something with a bit more substance from a master storyteller like Stanton. In the book, you describe how it took you some time to get around to the film, because of the ways it’s different from both the book and the ideal movie in your head. How do you feel today?

One thing I found very interesting in the book is your description of the narrative – „John Carter“ is a very expensive flop, the result of indulging a director that didn’t know what he was doing – that had already settled before anyone ever saw the finished film. In your opinion, how important are these narratives in film marketing and are there examples of succesful marketing turning them around in the past?

Fan culture and the willingness of fans to invest time and effort into the stuff they love is basically the hero of your book. How do you see fan culture today, as a whole? Is it a good thing that so many films based on properties with a fan base are made? Isn’t it a certainty that you will always disappoint some people – and people often unwilling to forgive – unless you produce such faithful, i.e. boring, adaptations like the „Harry Potter“ series? What do you think is the role of fans in movie culture today?

At the end of the book you lay out some ideas for how a sequel or reboot of the series could be realized. Do you believe this can actually happen (in our lifetime)? My personal feeling is that „John Carter of Mars“ has amassed too much bad karma for there to be any future efforts.

What’s next for you? Any writing or filmmaking you would like to plug?

Don Jon's Addiction. © Ascot Elite

Don Jon/Don Jon’s Addiction

Die Berliner Filmfestspiele sind inzwsichen schon fast drei Monate her, doch ein Trio von Filmen wird mich nicht loslassen, bevor ich darüber gebloggt habe. Es wirkte einfach zu absurd, wie sie miteinander verschränkt waren und interagierten, ohne voneinander zu wissen. Alle drei stellten Fragen zum Thema Pornografie und alle drei gaben sehr unterschiedliche Antworten.

Don Jon’s Addiction (inzwischen nur noch Don Jon) von und mit Joseph Gordon-Levitt ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Regie-Erstling. Ein hippes Thema, eine auf Hingucker ausgerichtete Inszenierung, schauspielerische Auftritte, die im ersten Moment überraschen, aber selten halten. Rebellisch und zahm in einem. Gordon-Levitt spielt selbst die Hauptrolle, einen jungen Vorstadtproll, der von seinen Freunden Don Jon genannt wird. Freitagabend macht er die Mädchen klar, Samstag wirft er sie wieder raus, um seine Bude zu putzen, und Sonntag lässt er sich in Kirche und Fitnessstudio von seinen Sünden freisprechen.

Doch Jons Problem ist nicht, dass er Frauen wie Gebrauchsgüter behandelt, sondern dass er Gebrauchsgüter Frauen vorzieht. Die Abhängigkeit des Filmtitels ist ein unnatürliches Verhältnis zu Internetpornografie, die Jon seit Jahren begleitet und von ihm als Ritual mehrfach am Tag zelebriert wird. Die Frauen in den Pornos sind ihm so zu Diensten, wie er sich das wünscht, obwohl er nicht mit ihnen interagieren kann. Sie sind Projektionsflächen, immer geil, zu allem bereit und nur für ihn da. Als Jon eine Beziehung mit seiner Traumfrau (Scarlett Johansson in einer sehr unglaubwürdigen Rolle) beginnt und diese ihm die Pornos verbietet, steht die Katastrophe unmittelbar bevor.

Am Ende von Don Jon’s Addiction braucht Gordon-Levitts Jon die Hilfe von Julianne Moore, die ihm beibringt, dass der beste Sex entsteht, wenn beide Parteien versuchen, den jeweils anderen zu befriedigen, und nicht sich selbst. Das mag wahr sein, aber die Art, wie der Film seine Message fast schon per Dekret verteilt, ist auch seine größte Schwäche. Man muss den Plebs nur ihre eigene Oberflächlichkeit vor Augen führen, dann wachen sie auf – das scheint die Botschaft eines Werks zu sein, das selbst zu großen Teilen aus Oberfläche besteht, und das über große Strecken hinweg einen enormen Kick daraus bezieht, immer wieder großzügig Ausschnitte aus Pornos in seine schnellen Schnittfolgen einzufügen.

Eine Generation von Menschen, besonders von Männern, ist nun damit aufgewachsen, dass die absonderlichsten pornografischen Bewegtbilder immer nur einen Klick weit entfernt sind. Das unglaublich schiefe Bild von Sexualität, Männlichkeit, Weiblichkeit und Intimität, dass dadurch jedem willigen Konsumenten ins Hirn gespeist wird, ist ein echtes Problem unserer Gesellschaft. Doch was machen die, die keine sensible ältere Julianne-Moore-Figur kennenlernen, um sie in die Geheimnisse des Sex einzuweihen – was wohl genauso wie eine ständig willige Pornofrau eine der ältesten, männlichen Fantasien aller Zeiten ist?

Lovelace. © Milennium Films

Lovelace

Wenn es nach Berlinale-Porno-Film Nummer 2 geht, sollte man sie in Talkshows aufklären und Pornografie anschließend verbieten. Lovelace endet zumindest auf einer solchen Note. Mit allen Konventionen des Biopics (Schlüsselszenen aus der Kindheit, sich der Epoche anpassender Filmlook, Nostalgie triggernde Musikeinsätze) gewappnet, erzählt der Film davon, wie Linda Boreman einen Mann namens Chuck Traynor kennenlernt, der ihr erst erstaunliche Fellatio-Techniken beibringt und sie dann mit dem Film dazu, Deep Throat, als Linda Lovelace zu einem Mainstream-Phänomen macht. Doch dem scheinbar goldenen Zeitalter der sexuellen Befreiung, als ein fröhlicher Pornofilm zum Publikumserfolg werden konnte, und AIDS freie Liebe noch nicht in Russisches Roulette verwandelt hatte, zieht der Film nach zwei Dritteln seiner Laufzeit den Teppich unter den Füßen weg.

Dann nämlich erzählt er die gleiche Geschichte noch einmal, diesmal jedoch so, wie sie das Publikum erst Jahre nach dem großen Erfolg erfahren sollte. Linda Boreman als Opfer eines gewalttätigen Mannes, der sie mit Schlägen und Drogen zur Prostitution zwingt. Deep Throat nicht als ein Symbol von befreiender Sex-Positivität, die sich ja auch in der Rahmenhandlung des Films wiederspiegelt, nach der jeder irgendwo ein Lustzentrum hat. Sondern der Film als Repräsentant einer aus dem Ruder gelaufenen Kultur, der es nur recht ist, dass Frauen zu Objekten werden, um das Amüsierbedürfnis der Massen zu stillen. Linda veröffentlicht ein Buch über ihre traumatischen Erfahrungen, zieht sich in ein bürgerliches Familienleben zurück und widmet ihr restliches Leben dem Kampf gegen Pornografie.

Linda Boremans persönliche Geschichte ist ohne Zweifel eine hässliche, die wahrscheinlich sogar stellvertretend für die Schicksale vieler Frauen steht, die in der Pornoindustrie gearbeitet haben und noch immer arbeiten. Und es ist gut zu sehen, dass es Boreman gelang, sich aus ihrer Opferrolle zu befreien. Schade bleibt aber, dass es Lovelace durch die Anordnung seiner Erzählung und durch seine gesamte Inszenierung nicht gelingt, diese persönliche Geschichte vom größeren Ganzen zu trennen. Eigentlich hat doch gerade Deep Throat mit seinem überraschenden Mainstreamerfolg bewiesen, dass es nicht die Pornografie als solche, das heißt die explizite Darstellung von Sexualität im Film, ist, die schlecht ist, sondern nur einige Menschen, die sie produzieren und die Werte, die sie derzeit vermittelt. Gegen sie zu kämpfen heißt, sie zu verdrängen und damit ihren Status als Schattenseite der Mediengesellschaft zu zementieren.

Interior. Leather Bar. © RabbitBandini Productions

Interior. Leather Bar.

Deswegen ist es besonders interessant, als dritten Teil der Berlinale-Porno-Trilogie James Francos filmisches Experiment Interior. Leather Bar. heranzuziehen. Unter dem Vorwand filmischer Archivarbeit erforscht Franco darin nämlich auf erstaunliche Art genau diesen gesellschaftlichen Umgang mit Pornografie.

Der Film setzt auf dem Mythos auf, dass für den Al Pacino-Film Cruising im Jahr 1980 Szenen gedreht aber nie veröffentlicht wurden, die Pacinos Ermittlungen als Undercover-Polizist im Schwulenmilieu in expliziten Bildern festhalten. Franco will nun als Regisseur diese mythischen Szenen rekonstruieren, castet Freunde und Freiwillige und inszeniert zwei Tage lang die Geschehnisse in einem schwulen Sex-Club. Der Film Interior. Leather Bar. dokumentiert die Dreharbeiten und die Reflektionen der Mitwirkenden, doch diese Rahmenhandlung scheint zumindest zum Teil ebenso inszeniert wie die rekonstruierten Szenen. Darauf weist der Film an mehreren Stellen nicht besonders subtil hin, verstärkt dadurch allerdings den Versteckspiel-Charakter, da sich die Zuschauenden an keiner Stelle sicher sein können, wo genau die Inszenierung anfängt.

Und dann, immer wieder, montiert Franco das gedrehte Material zusammen und die dem typischen Look heutiger Drehtagebücher angepassten pseudodokumentarischen, distanzierten Bilder weichen Aufnahmen, die in ihrer Gestaltung eine fast greifbare Sinnlichkeit besitzen. Nur eben, dass sie in Detailaufnahmen echten Sex zeigen, noch dazu zwischen Männern. Es war ein fantastisches Erlebnis, die angespannte Stimmung im Kinosaal zu spüren, als tatsächlich die ersten erigierten Penisse, die ersten unverhüllten Fellatiobilder über die Leinwand flimmerten. Explizite Aufnahmen von schwulem Sex? Das braucht doch keiner – obwohl, irgendwie sind sie auch … schön.

Im Laufe seiner gut einstündigen Laufzeit zeigt der Film, dass die beiden Männer, die man beim Sex sieht, auch außerhalb des Filmsets ein Paar sind. Erscheint die filmische Abbildung ihres Sex deswegen so erotisch, weil man spürt, dass hier tatsächlich ein Liebes-Akt und nicht nur ein Sex-Akt zu sehen ist? Oder liegt es daran, dass es die erklärte Mission des Films zu sein scheint, das besonders schmuddelig besetzte (und daher ja auch eine Undercover-Ermittlung rechtfertigende) zur Kunst zu erheben?

Auf bizarre Art gelingt es Franco, die Pole zusammenzuführen, die in den beiden anderen Filmen so unvereinbar scheinen. Er reflektiert über Pornografie, er zeigt Pornografie, er verdammt sie aber nicht. Er macht etwas sichtbar, dass Gesellschaft – und in seinem Rahmenmythos auch Filmgeschichte – immer noch lieber verdrängen würden, als sich damit auseinanderzusetzen. Don Jon’s Addiction und Lovelace deuten Pornografie an, doch sie ziehen sich aus der Affäre und verbannen sie größtenteils in das Unterbewusstsein des Zuschauers. Interior. Leather Bar. zeigt pornografische Bilder, aber er ist dabei trotzdem sexy. Man braucht Pornografie wirklich nicht überall und schon gar nicht auf die derzeit dominante Art. Sie ist kein Ersatz für irgendetwas. Aber sie könnte einen Platz haben. Auch im Kino. Sagt zumindest James Franco.

Gefühlte Gemische

1. Mai 2013

Nach einer Idee von Christoph Hochhäusler

Es liegt nicht auf der Hand, dass ich heute mit Film arbeite. Zwar bin ich nicht medienlos aufgewachsen, aber doch mit einem wohlkontrollierten Medienkonsum. Mehr als eine halbe Stunde „Die Sendung mit der Maus“ war sehr lange nicht drin, einen eigenen Fernseher hatte ich erst mit 16. Ich habe jede Menge frühe Lese-Erinnerungen aber sehr wenige frühe Film-Erinnerungen.

Mein erster Kinobesuch muss The Jungle Book (USA 1967) gewesen sein, als der Film Weihnachten 1987 noch einmal ins Kino kam. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, wirklich im Kino gesessen zu haben. Aber zu Fasching wollte ich auf jeden Fall King Louie sein. Meine Mutter bastelte mir ein Kostüm aus einem brauen Pullover und buntem Krepp-Papier.

Die ersten sechs Jahre meines Lebens wohnte ich mit meinen Eltern und meiner Schwester in einer Vier-Zimmer-Wohnung. Meine bevorzugte Abendbeschäftigung bestand darin, „Verlängerungstaktik“ zu fahren, also nach dem Zu-Bett-Gehen wieder aufzustehen, ins Wohnzimmer zu stiefeln und nach einem Glas Wasser oder Ähnlichem zu verlangen. Der eigentliche Zweck war natürlich, an den „erwachsenen“ Aktivitäten wie Fernsehen teilzunehmen.

Eines Abends wurde mir die Verlängerungstaktik zum Verhängnis, als ich just in dem Moment ins Zimmer kam, als die einzig gruselige Szene in Back to the Future (USA 1985) über die Mattscheibe flimmerte. Marty McFly erscheint seinem Vater im Strahlenschutzanzug, schockt ihn mit lauter Musik und erklärt, er sei „Darth Vader vom Planeten Vulkan“. Heute ein großartiger Geek-Witz, damals die Garantie für mehrere Wochen voller Albträume.

1991 zog meine Familie für fünf Jahre in die Niederlande, was mein Verhältnis zum Kino sowohl komplett veränderte, als auch nachhaltig prägte. Niederländer synchronisieren nicht. Bei Gängen ins Kino – anfangs noch mit Eltern, später zunehmend alleine, Mobilität war ja in einer Großstadt kein Problem mehr – lernte ich zwei Fremdsprachen gleichzeitig: Hollywood-Englisch und Untertitel-Niederländisch.

Ein Klassenkamerad hatte Terminator II – Judgment Day (USA 1991) auf VHS – seine Eltern waren in Sachen Medienkonsum wesentlich laxer als die der meisten anderen Freunde. Jedes Mal, wenn ihn jemand aus der Klasse besuchte, musste S. mit ihm Terminator gucken – auch mit mir. Vor der Szene mit der Milchtüte ließ ich mich aber von ihm warnen – und machte rechtzeitig die Augen zu.

Obwohl meine Kinolust mit zehn Jahren endgültig geweckt war, und ich zum Beispiel anfing, meine Kinokarten zu sammeln, war ich damals schon kein genauer Hingucker und bin es auch nie geworden. Kino war für mich immer ein Illusionsphänomen. Mich interessierten die Prozesse dahinter, über die ich vor allem in Zeitschriften wie „Limit“ und „TV Movie“ allerhand lernte. Mit der Video 8-Kamera meiner Eltern drehte ich eigene Stopptrickfilme und Flüge, in denen die Linse der Kamera den Blick aus dem Cockpit einfing.

Die Diskussion um Jurassic Park (USA 1993) war hart. Der Film hatte in Deutschland eine FSK 12, war aber in Holland ab 0 Jahren freigegeben. Ich war zehn und durfte nicht reingehen. Als der Film etwa ein Dreivierteljahr nach Kinostart noch einmal im „Rijksbioskoop“ lief – einem Kino, das Filme kurz vor Heimvideostart noch einmal für kleinen Preis wiederaufführte – gaben meine Eltern nach und ließen mich gehen. Vom sense of wonder beim Anblick der Dinos, über deren Erschaffung im Computer ich längst alles wusste, zehre ich bis heute.

Wenn Bekannte davon berichten, dass Sie Filme immer und immer wieder gesehen haben, muss ich passen. Spätestens ab 1995 war ich zu sehr von diversen anderen Hobbies besessen, die meisten davon hatten mit Fantasy-Rollen- und Kartenspielen zu tun und verschlangen meine gesamte Freizeit.

The Lion King (USA 1995) war einer der wenigen Filme, den meine Eltern für uns auf VHS kauften. Statt ihn immer wieder zu gucken, überspielte ich mir nur den Ton auf eine Kassette und transkribierte sie, lernte dabei weiter Englisch. Daher bleibt Disneys Meisterwerk der silbernen Ära der einzige Film, den ich fast komplett mitsprechen kann.

Alle meine Kindheits-Filmerinnerungen drehen sich also um Trick-Filme. Und bis heute ist es wohl das Erlebnis-Gemisch als Durch-Schauer und Verzaubert-Werder, die Kino für mich nach wie vor zum Faszinosum macht.

Fortsetzung folgt – falls gewünscht