ending is better than mending, ending is better …“
– Aldous Huxley, Brave New World
Ich tue mich manchmal schwer damit, zu beurteilen, wieviel von der Diskussion um geplante Obsoleszenz auf realen Geschäftspraktiken basiert, und wieviel antikapitalistische Agitation darin steckt. Ich kann mir, naiv wie ich bin, so schwer vorstellen, dass ein Ingenieur tatsächlich ein Produkt bauen würde, dass zu einem festgelegten Zeitpunkt kaputt geht. Allerdings machen Modezyklen, Weiterentwicklungen im Technikbereich sowie das Einstellen von Unterstützung (technisch und personell) für ältere Modelle regelmäßige Obsoleszenz auch ohne Schlaferziehung zu einer De-Facto-Realität in unserer Brave New World. Wir sind es generell gesprochen gewohnt, Neues zu erwarten (und zu kaufen), statt Altes zu pflegen und zur reparieren.
In meiner Beschäftigung mit dem digitalen Wandel in der Filmindustrie bin ich inzwischen zu der Erkenntnis gekommen, dass weder die Produktion noch die Distribution von Filmen der wahre Prüfstein für die Film-vs-Digital-Frage sind. In beiden Fällen sind inzwischen einfach Tatsachen geschaffen worden. Es werden nur noch wenig Filmmaterialien und noch weniger Film-Kameras hergestellt, was das Drehen auf Film automatisch zur Sonder- statt zur Standardoption werden lässt, und – wie Gerold Marks erst vor ein paar Tagen aufgeschrieben hat – im Kino diktieren die Verleiher das kommende Aus des analogen Films. Zurückrudern ist da quasi unmöglich.
Film-Archivierung ist der wahre Prüfstein
Die größte Frage im Filmbereich angesichts der Digitalisierng ist vielmehr die der Archivierung. Es lohnt sich, David Bordwells Blogeintrag vom Februar 2012 einmal ganz durchzulesen, um einen recht detaillierten Einblick in die Herausforderungen des Themas zu bekommen. Und obwohl dieses große Thema scheinbar im Hintergrund abläuft, wo es niemand beachtet, ploppt die Frage des „Was heben wir auf, was werfen wir weg, und wie sorgen wir dafür, dass das, was wir aufheben wollen, auch aufgehoben bleibt?“ immer wieder in unterschiedlichsten Kontexten auf – beispielsweis im jüngsten Kerfuffle rund um die Jodorowsky-Retrospektive auf dem Filmfest München.
Ich ertappe mich in diesem Kontext dabei wie ich, obwohl ich sonst doch immer so ein Freund und Verteidiger des Digitalen bin, dafür plädiere, nicht jede verdammte Datei aufzuheben, sondern analoge Kopien auf ein haltbares Material zu bannen und irgendwo zu vergraben. Fertig. Der Bordwell-Artikel zeigt, dass es in Wirklichkeit nicht um eine simple Entweder-Oder-Entscheidung geht, aber ganz pauschal gesprochen erscheint es mir wie der einzig sinnvolle Weg. Auch wenn dabei Informationen verloren gehen.
Die Suggestion des Digitalen
Anhand dieses Sachverhalts lässt sich die oben erwähnte Frage aber auch noch einmal grundsätzlicher angehen. Denn die digitale Welt, wie sie derzeit diskutiert wird, suggeriert uns auf perfide Weise, dass wir beide Seiten einer Medaille gleichzeitig haben können: Die Demokratisierung und Unmittelbarkeit von Kunst und Information – eine unendliche Welt von Daten jederzeit zum Greifen nah – einerseits, und eine endlose Abspeicherung alles Vergangenen andererseits. Mit anderen Worten: Jeder kann alles jederzeit schaffen – und außerdem geht nichts davon verloren. Aber das kann nur ein Trugschluss sein. Und noch mehr: das sollte es auch.
Der Gedanke kam mir eigentlich beim Beobachten der „Gegenseite“, der Digitalisierungs-Skeptiker. Ich weiß nicht einmal, ob es stimmt, aber ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es die gleichen Menschen sind, die sich einerseits beschweren, dass in unserer zersplitterten Kulturlandschaft nichts mehr von Dauer produziert wird (siehe oben: geplante Obsoleszenz), dass wir keine Monokultur mehr haben, die einen kulturellen Dialog bestimmt und dass das Internet als Informationsmaschine zu einem „Archive Overload“ führen kann, weil alles auf Knopfdruck verfügbar ist (siehe, wie so oft, Simon Reynolds). Die sich aber andererseits ärgern, wenn nicht alles aufgehoben wird und manche Werke eines Künstlers im Zweifelsfall nur noch in schlechter Qualität vorhanden sind (siehe Jodorowsky und dieser Artikel von Lukas Foerster, der mich zu dieser Abhandlung ursprünglich inspiriert hat).
Fürchterliches Essen, winzige Portionen
Der Kulturpessimismus scheint sich also gleichzeitig gegen beide Aspekte zu richten und formt ein wunderschönes Paradoxon: Wir produzieren viel mehr, als wir konsumieren können, und dann können wir es nicht einmal alles aufheben. (Im Grunde eine Variation eines alten Woody-Allen-Bonmots – das Essen ist so fürchterlich, und die Portionen sind auch noch winzig.) Das gleiche Phänomen kann man sogar in der Politik beobachten, wenn gleichzeitig das „Recht, vergessen zu werden“ skandiert wird, während die Vorratsdatenspeicherung voran getrieben wird.
Aber auch wenn man in die andere Richtung argumentieren will, muss man sich anscheinend entscheiden. Wer für das bewusste Vergessen plädiert, wie ich es hier tue, befördert damit direkt eine oftmals ungünstige Kanonisierung und ein Unter-den-Tisch-Fallen der Peripherie. Dabei denke ich noch nicht einmal an Minoritäten-Kulturen, obwohl ich das sollte. Ich denke eher: Einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist Jean Cocteaus Le Testament d’Orphée, der in seinem Werk allerdings eine vernachlässigbare Nebenrolle neben seinem Vorgänger Orphée einnimmt. Welcher Film würde wohl archiviert, wenn man sich entscheiden müsste?
Die kulturelle Ausnahme
Und dennoch: Obwohl ich – allein schon aus Umweltbewusstsein – nicht dafür sein kann, dass stoffliche Dinge ständig veralten und entsorgt werden (um dann irgendwo endlos vor sich hin zu rotten) und deshalb zum Beispiel Bewegungen wie die „Fixer“ begrüße (auch weil ich selbst handwerklich zu nichts zu gebrauchen bin), so will ich doch dafür einstehen, dass es okay ist, wenn kulturelle Erzeugnisse teilweise in Vergessenheit geraten. Die kulturelle Ausnahme auch hier, sozusagen. Wir müssen lernen, Kultur (zum Teil) wegzuwerfen und nicht zu archivieren. Flüchtigkeit zu begrüßen, wie es Teenager mit Apps wie Snapchat auch bereits tun. In der Musik haben Live-Auftritte längst Albumkäufen den Rang abgelaufen, eben weil sie (allen Handymitschnitten zum Trotz) nicht völlig archivierbar sind. Und steckt in dieser Überlegung nicht auch die Rettung des Kinobesuchs?
Das beste Argument dafür, nicht alles eindeutig und in bester Qualität zu archivieren und zu katalogisieren, ist, dass künftige Generationen schließlich auch noch etwas zu dechiffrieren haben sollten. Wenn wir ihnen nur ein unvollständiges Zeugnis unserer Zeit zurücklassen, laufen wir zwar Gefahr, dass sie auch unsere Fehler wiederholen, doch eine verzerrte Wahrnehmung kann auch inspirieren. Komplette Kulturbewegungen, etwa die Renaissance, entstammen einer verzerrten Wahrnehmung der Vergangenheit. Wäre der Aufbruch genauso energisch verlaufen, wenn nicht nur die besten Ideen aus der Antike überlebt hätte? Oder steckt in diesem Gedanken die konservativ-gruselige Implikation, dass wir ein „früher war alles besser“ brauchen, um ein Ideal zu haben, nach dem wir streben können?
Was bei mir bleibt, ist der Gedanke, dass wenn ich mich entscheiden müsste zwischen der Reduktion von Vielfalt und der Reduktion von Archivierung, würde ich wahrscheinlich immer die Reduktion von Archivierung wählen. Ich frage mich, ob mir das digitale Zeitalter langfristig Recht geben wird.
Bild: Flickr Commons
David Bordwell really is a sort of hero of mine. Not even that much for his work published in book form (although Film Art is pretty nifty) but especially for that really cool Blog he keeps. He recently published an eBook, which came out of a series of blog posts called „Pandora’s Digital Box“. I reviewed the book for epd film. You can read an English variation of the review here.
David came to give a talk on his web activities at my old university in Mainz today. He spoke mostly about his blog and the way it has changed his way of working, especially now that he is retired. He already wrote up most of the content of the talk about a year ago, in a blog post. New to me was that he puts about three days of work into each post. I regularly lament that so few German academics use blogging as a communicative tool, but I can somehow understand it, if I think about the work involved to create such a quality blog as David’s. (Still, come on!!!)
At the end of the lecture, I really wanted to get David’s autograph. But since „Pandora’s Digital Box“ is an eBook, he couldn’t really sign it for me. So instead, I asked him if he would sign my review in the magazine. And he did. I’m pretty sure Baudrillard would have appreciated this degree of meta-ness.
Yeah, we kind of look like differently aged versions of each other – Looper?
Update: To read David’s account of the lecture and trip, click here.
I’m wearing a t-shirt by 65daysofstatic. Consider them plugged!
A great cultural upheaval like the digitisation of cinema may tempt academics to bury it under a heap of ontological theory. This makes it all the more refreshing that it is an academic of all people, who has now published one of the most grounded accounts of the topic.
The American film studies guru David Bordwell, wo renewed the popularity of formalist film analysis in the 80s, first approached the digital changeover in a series of blog entries, which he has now assembled and reworked in a compact eBook for Sale on his site. With a real reporter’s spirit, Bordwell set out to learn about the changes on the very scenes they happened – in arthouses and multiplexes, with organizers of film festivals and overseers of film archives.
Especially these last two chapters allow for surprising insights into the work of institutions that even cinephiles rarely get to see the other side of. Bordwell describes the almost insurmountable chaos of formats in the booth of a festival projectionist, as well as the enormous effort, the costs and problems with data compatibility that figure in the digital storage of movies. All this, the Wisconscin professor enriches with journalistic background knowledge; he describes the institutional and economic history of the changeover without any frills and sketches the moves and motivations in the big business of film, or in this case – as the subtitle of the book makes clear – files.
Bordwell avoids choosing a clear side in the ongoing debate – even if his affection clearly rests with celluloid, or rather: acetate. As he points out in the introduction, he feels mostly excited about the fact that as a film historian, he finally gets a chance to witness a historic paradigm shift first hand. Istead of just reconstructing the details and the feel of such a change after the fact through a series of educated academic guesses, he enjoys being right in the middle of it – as a sort of embedded student of cinema. And he succeeds outstandingly.
„Pandora’s Digital Box: Films, Files and the Future oF Movies“ is available for $3.99 from davidbordwell.net.
A different, German version of this review appeared in epd film 7/2012.
Work in Progress: Wie digital ist der deutsche Film?
10. Juni 2012
Hell, gedreht mit der Red One MX Kamera – Bild: Paramount
Mein Kollege und Freund Bernd Zywietz (Blog) hat mich angeheuert, um einen längeren Beitrag für ein Projekt zum aktuellen deutschen Film zu schreiben, das demnächst das Licht der Welt erblicken soll (Details nenne ich sicherheitshalber hier vorerst nicht).
Mein Thema wurde mir grob mit „Digitalisierung“ umrissen. Wie genau ich an dieses Thema herantreten will, ist mir überlassen. Da ich hauptsächlich wegen des erwarteten Ruhms zugesagt habe, habe ich mich entschieden, diesmal einen etwas anderen Weg zu gehen, als den gewohnten.
Ich bevorzuge es in der Regel, Struktur und Inhalt eines Artikels gänzlich mit mir selbst auszumachen und daran im stillen Kämmerlein meines Köpfchens so lange herumzuschrauben, bis das Werk „fertig“ ist, also bereit ist, in Buchstaben gegossen zu werden.
Herausgefordert durch Menschen wie Jeff Jarvis will ich dieses Mal einen etwas offeneren Prozess versuchen, in dem ich meine Ideen und meinen Fortschritt in diesem Blog offenlege und zur Diskussion freigebe.
Mir ist klar, dass – mit den wenigen Lesern, die mein Blog hat – und angesichts der 90-9-1-Pyramide, das Feedback wahrscheinlich eher klein ausfallen wird, aber man kann es ja mal versuchen. Wer weiß, was passiert. Vielleicht passiert auch nichts.
Mein momentanter Stand ist, dass ich mir überlegt habe, den Weg eines Films von der Produktion bis zur Kinoauswertung zu verfolgen und auf jedem Schritt des Weges zu überprüfen, wie stark die digitale Technik dort bereits dominiert (oder nicht) – in einer Mischung aus Interviewstatements und Fakten, die ich aus anderen Veröffentlichungen zum Thema ziehen will. Als sehr inspirierend empfand ich in dieser Hinsicht David Bordwells Blogserie Pandora’s Digital Box, die einen ähnlichen Weg wählt.
Ich fange mit der Produktionsseite an. Heute habe ich mehrere Filmschulen, die deutsche Produzentenallianz und zwei Dokumentarfilmer angeschrieben und um Interviews gebeten. Diese Woche nehme ich mir die letzten zwei Jahrgänge des „Filmecho“ vor und suche Artikel zum Thema. Wenn ich mich auf dem Produktionsterrain sicher fühle, ist die Postproduktion und Auswertung dran.
Klingt das sinnvoll? Ich werde (hoffentlich) in Blogeinträgen von meinem Fortschritt berichten, gesammelte Ideen in den Raum werfen und auf Feedback hoffen (das dann später im Artikel durch Nennung gedankt wird). Wenn jemand jetzt schon etwas beitragen will, immer her damit. Was immer hilft ist auch: weitererzählen, vielleicht landet das work in progress so bei jemandem, der etwas dazu beitragen möchte.
Stuff I learned this week – #7/11
20. Februar 2011
- Tim Smith watches us watching There Will Be Blood.
- 2011’s release schedule sets the record for most sequels.
- Why Gnomeo and Juliet has hideous protagonists.
- There are six giant blind spots in every movie alien’s invasion strategy.
- There are four stages of „getting“ Twitter (and I’m not sure, which stage I’m on).
- John Swansburg hates his iPad and gets a lot of sympathy.
- Matt Zoller Seitz takes a look at revisionist fiction.
- „Walk like an Egyptian“ stands in a line of ad-hoc protest songs.
- Has Language Log already found the correction of the year?
- 3D-Videomapped living is kinda cool.
- Laut Michael Reufsteck ist es Top, dass der Thommy geht.
- Schnell reagierende Werbeagenturen sind Gold wert.
Stuff I learned this week – #50/10
19. Dezember 2010
- The Films of 2010 allow for great montages.
- A small step out of the digital world can mean a lot.
- End-of-year-marketing has a special place in Chris Thilk’s heart.
- 1931 soothsayers got some things right.
- There is some great unproduced screenplays out there.
- David Bordwell loves the „Hollywood Reporter“ archives.
- Clay Shirky believes 2011 will bring about changes for the syndication model.
- There is media attention hope for specialized bloggers (like me).
- 2010 was another interesting year for ideas.
- Thomas Knüwer sieht in den Verfechtern des Leistungsschutzrechts die neuen Ruhrbarone.